Vier Wochen vor dem Weltcupauftakt in Sölden ist die Stimmung im Skizirkus gereizt wie selten zuvor. Vielen Athleten stösst die Punktevergabe in der neu angesetzten Team-Kombination richtig sauer auf. Doch der Reihe nach.
Das Format, in dem ein Speed-Spezialist und ein Slalomfahrer ein Team bilden, je einen Lauf fahren und die Zeiten addiert werden, wurde bei der letzten Junioren-WM getestet. Danach entschied der FIS-Vorstand beim Frühlingsmeeting in Kroatien, dass die TC (englische Abkürzung für «Team Combined») im kommenden Winter erstmals in den Weltcup kommt.
Crans-Montana ist Austragungsort für die Frauen, Kitzbühel für die Premiere bei den Männern. Walter Reusser, CEO Sport bei Swiss Ski, sagte damals zu Blick: «Die Idee für dieses Format kommt von den Athleten, die das Reglement erarbeitet haben. Daher denke ich, dass es etwas Gutes ist.»
Die ganze Weltelite stellt sich gegen den Punktemodus
Doch nun das. Vor dem FIS-Meeting diese Woche in Zürich taucht ein Antrag der Athleten auf, der Reussers Behauptung deutlich widerspricht – auf einer Liste stehen die Namen von 130 Rennfahrerinnen und Rennfahrern, die gegen den Punkte-Vergabemodus in der Team-Kombination plädieren!
Die Ski-Stars wollen nicht, dass die TC in die Disziplinen- und Gesamtweltcupwertungen einfliessen. Neben internationalen Topshots wie Mikaela Shiffrin (USA), Sofia Goggia (It), Österreichs Vincent Kriechmayr und Norwegens Super-Elchen Aleksander Aamodt Kilde, Henrik Kristoffersen und Lucas Braathen stellen sich in dieser Angelegenheit auch unser Superstar Marco Odermatt sowie Daniel Yule, Loic Meillard, Justin Murisier, Gino Caviezel und Luca Aerni gegen die FIS-Führung.
Die Erklärung von Slalom-Held Daniel Yule: «Es ist richtig, dass ich mich für die Aufnahme der Team-Kombination in den Weltcup-Kalender ausgesprochen habe. Aber es stimmt nicht, dass wir Rennfahrer das Reglement ausgearbeitet haben. Bezüglich der Punktevergabe wurde ich nie gefragt.»
Yule und seine Teamkollegen sind davon ausgegangen, dass die TC-Punkte ausschliesslich auf dem Nationencup-Konto verbucht werden. Doch die FIS will, dass die in dieser Kombi herausgefahrenen Zähler auf beide Fahrer aufgeteilt werden und auch in die Einzelwertungen fliessen.
Doch das ist in den Augen von Shiffrin, Odermatt, Kilde, Yule und Co. Wettbewerbsverzerrung. «Skisport ist nun mal in erster Linie ein Einzelsport. Es darf nicht sein, dass die Punkte aus einem Teambewerb entscheidend für den Sieg in der Abfahrt- oder Slalom-Einzelwertung sein können, zumal einige Slalom-Stars bei der Team-Kombination gar nicht starten dürfen», poltert Yule.
Der letztjährige Sieger des Kitzbühel-Slaloms denkt da vor allem an Griechenlands Vizeweltmeister AJ Ginnis, Englands David Ryding (Hahnenkamm-Champion 2022) oder auch an die slowakische Überfliegerin Petra Vlhova. Dieses hochkarätige Trio wird bei der TC zuschauen müssen, weil es weder im griechischen, britischen noch im slowakischen Team Abfahrer respektive eine Abfahrerin gibt. Walter Reusser erklärt, warum die FIS dennoch am Punktemodus festhalten will. «Es ist wichtig, dass sämtliche Stars bei dieser Team-Kombination starten. Das wird aber nur dann der Fall sein, wenn die Punkte nicht nur der Nationen-, sondern auch der Einzelwertung zugutekommen.»
Yule und Ginnis zerpflücken die FIS-Argumentation
Yule hält dagegen: «In Kitzbühel werden am Freitag sämtliche Slalomcracks die Team-Kombi bestreiten wollen, weil es im Hinblick auf den Spezialslalom vom Sonntag von Vorteil ist, wenn man den Rennhang schon einmal im Renntempo befahren kann. Und wenn in der Abfahrt ein Trainingslauf weniger angesetzt wird, werden mit ziemlicher Sicherheit auch die meisten Speed-Asse die TC-Abfahrt bestreiten.»
Der betroffene AJ Ginnis liefert noch zwei andere Lösungsvorschläge. «Wenn im Reglement festgehalten wird, dass bei Olympia nur die Athleten um eine Medaille in der Team-Kombination starten dürfen, die im Weltcup in dieser Disziplin gestartet sind, würden die meisten Hochkaräter antreten.» Und Ginnis bringt auch ins Spiel, dass das TC-Paar gar nicht aus derselben Nation stammen müsste: «Chancengleichheit könnte man auch herstellen, wenn ich als Grieche wie beispielsweise im Tennis-Doppel mit einem Schweizer, Österreicher oder Norweger in der TC antreten dürfte.»
Wird Ginnis in Kitzbühel tatsächlich mit Odermatt, Kriechmayr oder Kilde bei der Team-Kombination antreten dürfen? Oder wird der Punktemodus vielleicht doch noch einmal geändert? Die endgültige Entscheidung soll am Freitagnachmittag in Zürich getroffen werden.