Hast du schon einmal die Hand eines Menschen gehalten, der seinen letzten Atemzug macht? Katja Grossmann (26) weiss, wie sich das anfühlt. «Es ist unglaublich traurig, aber im selben Moment auch schön», berichtet sie.
Die Skirennfahrerin aus Bönigen BE machte diese Erfahrung gleich zu Beginn ihrer Ausbildung als Pflegefachfrau im Spital Thun. «Es war der Wunsch der Patientin gewesen, Angehörige waren nicht da. Für mich war klar, dass ich sie nicht allein lasse, wenn sie geht.»
Brüche, Taubheitsgefühle und Trauma-Therapien
Während sie erzählt, strahlt Grossmann viel Reife aus. Das kommt nicht von ungefähr – hat aber auch einen traurigen Hintergrund. Warum? Weil sie schon unzählige Verletzungen erlitt. Ihr Leidensweg begann am 8. März 2017. An diesem Tag holt Grossmann bei der Junioren-WM im schwedischen Are Silber in der Abfahrt. Experten trauen der Frau, die wegen ihrer enormen Fähigkeiten mit Ski-Star Beat Feuz (36) verglichen wird, eine grosse Karriere zu. Frauen-Cheftrainer Beat Tschuor: «Katja ist eine ausgesprochen gute Gleiterin und hat das nötige Speed-Gen, das es in der Abfahrt und im Super-G braucht. Leider hat sie in ihrer Karriere immer wieder das Verletzungspech verfolgt.»
Tatsächlich lässt Grossmann an diesem Tag vor gut sechs Jahren Fahrerinnen mit klingenden Namen hinter sich: Kira Weidle (D), Nina Ortlieb (A), die Schwestern Nicol und Nadia Delago (I) sowie Kajsa Vickhoff Lie (Norwegen). Sie alle standen seither auf dem Podest – sei es im Weltcup, bei Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen.
Doch Grossmanns Karriere nimmt eine andere Wendung. Zweimal bricht sie sich Schien- und Wadenbein – 2019 rechts, 2022 links. Taubheitsgefühle, Trauma-Therapien, dazu weitere Verletzungen an Knie, Hand und Rücken: Die Speed-Spezialistin macht viel durch und lernt das Spital von innen besser kennen, als es ihr lieb ist.
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«Und nun bin ich sogar freiwillig hier», sagt sie schmunzelnd. Der Entscheid, eine Lehre als Pflegefachfrau anzufangen, war wohldurchdacht. «Mein Ziel ist es weiterhin, Rennen zu fahren und irgendwann auch mal zu gewinnen. Gleichzeitig habe ich gemerkt, dass ich auch noch eine andere Aufgabe brauche. Etwas, das mich erfüllt, mich aber auch ablenkt. Das habe ich hier gefunden.»
«Im Spital muss ich auch Spritzen setzen»
Vom Spital Thun zur Trauffer Erlebniswelt nach Hofstetten bei Brienz, einem ihrer Sponsoren. Viele hätten ihr in den vergangenen Jahren geraten, den Bettel hinzuwerfen – Trauffer nicht, so Grossmann. Die grosse Kämpferin ist dankbar für die Unterstützung und posiert für die Kamera, während sie eine Holzkuh bemalt.
Dabei zeigt Grossmann viel Fingerfertigkeit – eine ihrer Qualitäten neben dem Skifahren. «Im Spital muss ich auch Spritzen setzen – da ist es schon wichtig, präzise zu sein – so wie hier», sagt sie.
Gesund werden – was dann folgt, ist offen
Grossmann ist sich bewusst, dass ihre Sportler-Karriere an einem seidenen Faden hängt. Doch sie ist bereit, zu kämpfen – erneut und wie so oft in der Vergangenheit. «Meine Zukunft steht in den Sternen», weiss sie. «Aber gesund werden muss ich so oder so. Ich gebe nicht auf.»