Es ist ein besonders verrücktes Kapitel in der Alpin-Geschichte. Am 3. März 1985 donnern der Churer Dani Mahrer und Australiens Beach Boy Steven Lee beim Super-G im japanischen Furano zeitgleich auf den ersten Rang. Für beide ist dieser Triumph gleichbedeutend mit dem ersten Weltcupsieg.
«Steven und ich hatten damals sehr viel Glück, dass wir das Rennen mit hohen Nummern in Angriff nehmen konnten. Die Favoriten mit den vorderen Startnummern hatten damals die schlechteren Sichtverhältnisse als wir», erinnert sich Mahrer (58).
Nach Schlaganfall in Spezialklinik
35 Jahre danach aber hat das Glück das «Ski Känguru» Lee verlassen. Seit letzter Woche nämlich liegt der 58-Jährige nach einem Schlaganfall in einer Spezialklinik in Melbourne.
Der Zürcher Oberländer Jan Tischhauser (69), der fünf Jahre Cheftrainer von Australiens Ski-Team war, sagt zu BLICK: «Ich hatte vor ein paar Tagen Kontakt mit einem ehemaligen Teamkollegen und Freund von Steven Lee. Gemäss seinen Informationen hat Steven derzeit Lähmungserscheinungen in der rechten Körperhälfte und grosse Schwierigkeiten beim Sprechen.»
Training mit Zurbriggen, Müller, Heinzer
Dass es ausgerechnet den extremen Bewegungsmenschen Lee derart hart erwischt hat, bricht Tischhauser schier das Herz. «Nach meiner Zeit in Australien habe ich bei den Franzosen Top-Stars wie Luc Alphand oder Frank Piccard gecoacht. Aber keiner hatte so viel Talent wie Steven Lee. Seine körperlichen und skitechnischen Voraussetzungen waren genial. Leider hat er aufgrund von einer oft zu nonchalanten Einstellung nur selten das Maximum herausgeholt.»
Die stärkste Phase in seiner Karriere hatte Lee, als ihm Tischhauser in den Sommermonaten das Gletschertraining mit dem damals übermächtigen Schweizer-Abfahrtsteam ermöglichte. «Im Training mit einem Pirmin Zurbriggen, Peter Müller oder Franz Heinzer hat Steven gelernt, was professionelles Skifahren bedeutet. Davon hat er enorm profitiert.»
Zu erfolgreich für manchen Schweizer
1984 hat Lee bei der Lauberhorn-Abfahrt als Sechster sämtliche Ski-Genossen geschlagen. Und spätestens nach seinem ganz grossen Triumph in Furano gab es im Schweizer Team immer mehr Leute, die den «Aussie» nicht noch stärker machen wollten. Deshalb wurde der Sohn eines Polizisten aus Sydney immer seltener in die Trainingskurse der Schweizer eingeladen.
Das hatte zur Folge, dass bei Lee der Schlendrian wieder regelmässig zur Geltung kam. Jan Tischhauser: «Als Trainer musste ich praktisch jeden Tag wegen irgend einer Schlampigkeit Druck auf Steven ausüben. Er gehörte zu den Rennfahrern, welche bierträchtigen Partys nicht abgeneigt waren. Und weil er ein berüchtigter Schürzenjäger war, hat Steven in den Trainingslagern die Bettruhe auch nur selten eingehalten.»
Aber weil dieser Steven ein derart liebenswerter Spitzbube war, konnte ihm kein Trainer wirklich böse sein. Nach dem Ende seiner alpinen Laufbahn 1992 hat er in Japan ein florierendes Heli-Skiing-Unternehmen aufgebaut. Und in seiner Heimat hat er sich einen Namen als TV-Reporter gemacht.
«Habe ihm eine E-Mail geschickt»
«Als ich im Jahr 2000 bei den Olympischen Spielen in Sydney zu Gast war, hörte ich bei der Übertragung der Mountainbike-Rennen auf Channel 7 plötzlich eine mir sehr bekannte Stimme – Steven hat dieses Rennen kommentiert», erinnert sich Tischhauer.
Nun wartet die Schweizer Trainer-Legende sehnlichst auf das nächste Lebenszeichen von seinem einstigen Schützling. «Ich habe Steven vor ein paar Tagen eine E-Mail geschickt. Eine Antwort habe ich bis jetzt leider nicht erhalten.»
Sollte Tischhauser eines Tages doch noch eine Antwort von Steven Lee erhalten, wäre die Freude beim Mann aus Wald wohl noch grösser als damals beim Sensations-Triumph in Furano.