Die Übernachtung stellt für die Abfahrer in Wengen manchmal die noch grössere Herausforderung dar als der Sprung über den Hundschopf. Weil ihm der Lärmpegel in seinem Hotelzimmer neben dem «Weltcup-Dörfli» in Wengen zu hoch war, hat der Österreicher Pepi Strobl im Jahr 2000 kurz vor Mitternacht seine Matratze auf den Hotelgang geschleppt. Dort fand er endlich den nötigen Schlaf, der ihm am folgenden Tag sogar zum Sieg auf der längsten Abfahrt der Welt verholfen hat.
Für Marco Odermatt hat diese Lauberhorn-Woche ebenfalls so unruhig wie noch nie begonnen. Aufgrund von Umbauarbeiten residiert das Swiss-Ski-Team diese Woche erstmals seit vielen Jahren nicht im ruhig gelegenen Hotel Belvedere am Rand, sondern im mitten im Dorfzentrum platzierten Victoria Lauberhorn.
«In der Nacht von Montag auf Dienstag bin ich erwacht, weil sich am Bahnhof ein paar Typen geprügelt haben», erzählt der Nidwaldner. Ordentlich gekracht hat es auf der Partymeile vor Odermatts Zimmer dann auch wieder am Freitagabend. «Von 20 bis 22 Uhr habe ich mir all die Party-Songs angehört. Und irgendwie hat mich das sogar motiviert. Ich finde es wunderschön, wenn die Ski-Fans ausgelassen feiern. Damit mein Schlaf vor dem Rennen nicht zu kurz kommt, habe ich dann aber doch meine Ohropax reingeschoben.»
Odermatt: Zuerst enttäuscht, dann erfreut
Am Samstag, rund 15 Stunden später, verstummen die Schweizer Schlachtenbummler für einen Moment. Odermatts grossem Gegenspieler Aleksander Aamodt Kilde gelingt auf der wegen Wind verkürzten Abfahrt – wie schon am Vortag im Super-G – eine Mega-Fahrt. Der Norweger knöpft dem Innerschweizer fast neun Zehntel ab und feiert seinen 19. Weltcupsieg.
Odermatt schüttelt im ersten Moment enttäuscht den Kopf. Dann freut er sich aber herzlich über den zweiten Schlussrang. «Normalerweise reicht es mit einem so grossen Rückstand nicht für einen Platz auf dem Podest. Ich hatte ein paar kleine Fehler. Einmal hatte ich richtig Glück, dass ich im Rennen geblieben bin. Darum bin ich letztendlich mit dem Endergebnis sehr zufrieden. Und ich bin beeindruckt, wie stark Kilde einmal mehr gefahren ist.»
Der Riesenslalom-Olympiasieger fügt nach seinem 14. Podestplatz in dieser Saison schmunzelnd an: «Nach den vielen Siegeszeremonien mit Aleksander kenne ich die norwegische National-Hymne schon fast so gut wie unseren Schweizerpsalm.»
Kilde profitiert von Shiffrin
Tatsächlich hat Kilde nun wie Odermatt schon sechs Saisonsiege auf dem Konto. Der Modellathlet führt seine derzeitige Überform auch auf seine Liebesbeziehung mit Amerikas Ski-Königin Mikaela Shiffrin zurück: «Seit ich mit Mikaela liiert bin, trainiere ich noch intensiver.» Warum das? Kilde: «Wenn man eine Freundin hat, die keinen Spitzensport betreibt, macht man im Urlaub Trainingspause. Aber mit Mikaela trainiere ich eben auch in den Ferien ein paar Stunden am Tag.»
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So kann sich der Wikinger wie in Wengen auch mal ein mastiges Abendessen leisten. «Es ist Tradition, dass wir Norweger in der Lauberhorn-Woche von der Frau von Rico Molitor bekocht werden. Sie ist Norwegerin. Am Mittwoch hat sie uns ein wunderbares Raclette serviert.»
Dass geschmolzener Käse schnell macht, beweist auch die Tatsache, dass sich Marco Odermatt am Dienstag nach dem ersten Lauberhorn-Training ein Fondue genehmigt hat.