Es ist kein halbes Jahr her, da lag Michelle Gisin (28) im Bett. Zur Mittagszeit. Kraftlos, ohne Antrieb, ihr Körper schmerzte überall. Das Pfeiffersche Drüsenfieber machte ihr Leben zur Qual. Sie stellte sich grundsätzliche Fragen: «Werde ich je wieder die Alte? Und wenn ja, wie lange wird es dauern?» Die Engelbergerin musste auch weinen, denn weder sie noch die Ärzte kannten die Antworten.
Und heute? Da sind Gisins Augen wieder wässrig - diesmal aber vor Freude. Platz 3 beim Riesenslalom von Courchevel, der erste Podestplatz seit ihrer Erkrankung mit dem heimtückischen Virus. Sie schreibt ihr eigenes Märchen. «Es ist unglaublich. Ich weiss nicht, was ich sagen soll», so Gisin überglücklich.
Gisins Freund ist auch im Hoch
In der Tat erstaunt Gisins wundersames Podium-Comeback. Klar, sie war vorher schon Fünfte und Achte. Und ja, mit Lara Gut-Behrami, Alice Robinson (Neus) und Katharina Liensberger (Ö) fehlten in Courchevel drei Top-Shots wegen Corona. Dennoch: Dass Gisin nach dem Speed-Wochenende in Val d‘Isère beim dritten Rennen innert vier Tagen die Power für einen solchen Coup hat, verblüfft. Schliesslich stand sie seit einem Monat nicht mehr auf den kürzeren Ski. «Damit konnte ich nicht rechnen. Ich danke meinem gesamten Team, meiner Familie, den Physios und Betreuern. Sie alle haben mir in der schwierigen Zeit so viel geholfen.» Und natürlich fehlt auch jemand ganz Besonderes nicht bei Gisins Aufzählung: «Mein Freund Luca.»
Sie meint Luca de Aliprandini (31), den italienischen Rodeo-Künstler mit den unglaublichen Riesenslalom-Schräglagen. Am Vortag wurde er auf der legendären Gran Risa in Alta Badia sensationeller Zweiter hinter dem Schweizer Überflieger Marco Odermatt. 24 Stunden später zieht seine Herzensdame 430 Kilometer weiter westlich nach. Gisin: «Ich weiss gar nicht, wie das geklappt hat. Es ist sehr emotional.»
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«Er hat mir immer geholfen»
Schon im Sommer sprach Gisin mit Blick über die besondere Wichtigkeit De Aliprandinis während ihrer schwärzesten Stunden: «Für ihn ist es auch nicht einfach. Ich war wie ein Kind. Schlafen, essen, schlafen – zu mehr hatte ich oft keine Kraft. Aber er hat mir immer geholfen.»
Und nun atmet Gisin definitiv auf. «Ich fühle mich wieder wie ich selbst. Das Schlimmste ist vorbei. Klar, ich bin jetzt müde – aber diese Müdigkeit fühlt sich wieder normal an.»