Es ist ein Gespräch mit Tom Stauffer, das Reto Schmidiger (31) im Frühling 2022 trifft wie ein Hammerschlag! Nach zahlreichen Verletzungen und zu wenig Weltcuppunkten wird Schmidiger vom Cheftrainer aus dem Swiss-Ski-Kader gestrichen. Und das alles kurz vor dem 30. Geburtstag.
Die meisten anderen Athleten hätten in einer vergleichbaren Situation den sofortigen Rücktritt erklärt. Doch der Nidwaldner Slalom-Spezialist (vier Top-Ten-Klassierungen im Weltcup) entscheidet sich dafür, auf eigene Rechnung weiterzukämpfen. «Für mich war schnell klar, dass meine sportliche Geschichte noch nicht zu Ende geschrieben ist. Zum Glück haben das auch meine langjährigen Partner so gesehen. Mein Individual-Sponsor, meine Ausrüster und der Kanton Nidwalden haben mir schnell ihre Unterstützung zugesichert.»
100'000 Franken pro Saison
Letztendlich kann Schmidiger die Kosten aber nicht gänzlich mit den Sponsoren-Geldern abdecken. «Die letzte Saison hat mich rund 100'000 Franken gekostet. Deshalb musste ich auch auf meine eigenen Ersparnisse zurückgreifen.»
Um das Konto aufzupolieren, übt der Hergiswiler, der seit bald vier Jahren mit Annina verheiratet ist, in der trainingsfreien Zeit noch einen anderen Job aus – im Gartenbau-Betrieb von Elias Zumbühl erfüllt der einstige Junioren-Weltmeister im Sommer ein 60 Prozent-Pensum. Nicht nur des Geldes wegen, wie er sagt. «Die Tätigkeit im Gartenbau ist für mich auch ein hervorragendes Training. Wenn du vom frühen Morgen bis am Abend bei hohen Temperaturen schaufelst und die Karrette herumschiebst, ist das die ideale Ergänzung zum klassischen Kraft- und Ausdauertraining eines Skirennfahrers.»
Schwerer Fehler beim Kanten schleifen
Handwerklich muss sich Schmidiger aber auch während der Ski-Saison betätigen. Seit seinem Rauswurf aus dem Swiss-Ski-Kader erhält er von Nordica zwar weiterhin das Material, die Ski muss er aber selber präparieren. «Deshalb weiss ich jetzt auch ganz genau, warum begabte Servicemänner im Ski-Zirkus derart gefragt sind», seufzt Schmidiger und gibt zu, «dass ich die Skikanten am letzten Wochenende vor dem Europacup-Slalom im italienischen Val di Fassa komplett verschliffen habe.»
Deshalb ist der Mann, der in seiner Jugendzeit wie ein grosser Bruder zu Marco Odermatt (26) geschaut hat, im zweiten Lauf ausgeschieden. Zwei Tage später wurde Schmidiger in Obereggen dann aber erstmals für seinen gigantischen Aufwand belohnt – er triumphierte im Europacup-Slalom im Südtirol und hat ein paar Stunden später das Aufgebot für den Weltcup-Slalom in Madonna di Campiglio erhalten. «Dass ich mir bald zwei Jahre nach dem Swiss-Ski-Rauswurf nun doch wieder einen Startplatz im Weltcup erkämpft habe, ist für mich eine grosse Genugtuung.»
Durch Ginnis und Strolz bestärkt
In Madonna di Campiglio werden auch ein Österreicher und ein Grieche am Start stehen, die Schmidiger auf seinem harten Weg zurück besonders inspiriert haben. «Johannes Strolz und AJ Ginnis wurden vor ein paar Jahren ebenfalls aus ihren National-Kadern gestrichen und haben danach auf eigene Rechnung weitergekämpft. Strolz wurde 2022 Olympiasieger, Ginnis wurde im letzten Jahr Vize-Weltmeister im Slalom. Die Geschichten von AJ und Johannes haben mich im Glauben an meine eigene Chance bestärkt.
Kann Schmidiger seine neuerliche Weltcup-Chance in Madonna di Campiglo nutzen? Die Antwort gibt es am Freitgaabend (1. Lauf ab 17:45 Uhr).