Der feuchteste Kuss
Weltmeisterin Jasmine Flury (30) gewinnt in Val d'Isère nicht nur ihre erste Weltcupabfahrt, sondern erhält auch noch ein Kälbchen. Das ist der traditionelle Lebendpreis, den Siegerinnen in den Savoyer Alpen erhalten. Besonders beeindruckt ist Flury, wie ruhig das Tier trotz des Rummels bleibt – einen dicken Schmatz gibts auch. «Ich habe es Samira getauft», erzählt Flury – es ist eine Hommage an ihre Nichte. Ob die Bündnerin, die auf einem Bauernhof aufwuchs, das Kalb in die Schweiz mitnehmen wird, ist unklar. Im Frühling will sie entscheiden.
Der fürchterlichste Schrei
Mit Startnummer 23 verliert Stefanie Fleckenstein (26, Ka) nach einem kleinen Verschneider wenige Meter vor dem Ziel das Gleichgewicht. Sie knallt heftig auf den pickelharten Untergrund, rutscht in den Zielraum – ihre Schreie des Schmerzes gehen durch Mark und Bein. Im Spital von Grenoble folgt die Diagnose: Schienbeinbruch. «Ich habe viele Gedanken, aber die spare ich mir auf, wenn ich kein Morphium mehr habe», schreibt sie aus dem Spital.
Der grösste Ärger
Lara Gut-Behrami weiss am Start des Super-Gs, dass sie gut drauf ist. Ihre bisherige Saison war brillant. Dann passiert ihr etwas, das ihr sonst fast nie widerfährt – sie verschätzt sich und verpasst ein Tor. «Cazzo!», ruft die Tessinerin, als sie ins Ziel fährt. Interviews gibt sie nicht. Der Stachel des Nullers in ihrer Spezialdisziplin sitzt tief, er könnte ihr im Kampf mit Federica Brignone am Ende sogar die Disziplinen-Kugel kosten.
Die schönste Überraschung
Ob Wendy Holdener nach ihrem Bruch im Sprunggelenk in diesem Winter noch Skirennen bestreiten wird, ist fraglich. Umso schöner, dass sich etwas in der zweiten Slalom-Garde der Schweizerinnen tut. Nicole Good (25) fährt im Ahrntal (It) auf die Plätze 1 und 2. Klar, dass Cheftrainer Beat Tschuor sie auch für den Nachtslalom in Courchevel (Fr) am Donnerstag aufbietet.
Die bitterste Serie
Joana Hählen (31) darf mit den Rängen 2 (Abfahrt) und 6 (Super-G) hochzufrieden sein. Dennoch hätte es die Power-Frau aus Lenk BE auch längst verdient, einmal zuoberst auf dem Treppchen zu stehen – sie wurde schon dreimal Zweite und zweimal Dritte. Immerhin: In Val d'Isère hatte sie sich auch schon schwer verletzt. Darum sagt sie jetzt glücklich: «Aus Hassliebe wurde eine die grosse Liebe.»
Die grösste Ehekrise
Als Henrik Kristoffersen im Frühling 2021 von Rossignol auf die Ski von seinem einstigen Erzrivalen Marcel Hirscher wechselte, prognostizierten Top-Experten wie Hans Knauss, «dass Henrik dank dem Hirscher-Know-how in Zukunft regelmässig um eine Sekunde schneller fahren wird.» Tatsächlich hat Kristofferson mit den «Van Deer»-Latten im letzten Winter WM-Gold im Slalom eingefahren. Doch jetzt kriselt es in der «Traum-Ehe» Kristofferson-Hirscher ganz gewaltig – beim Doppel-Riesenslalom Alta Badia hatte der Norweger wie schon beim Slalom in Gurgl (Platz 7 und beim Riesen in Val d’Isère (Rang 8) offensichtliche Set-Up-Probelme. Deshalb musste sich der überehrgeizige Wikinger auf der «Gran Risa» mit zwei siebten Plätzen begnügen. Was den Mann mit 30-Einzel-Weltcupsiegen besonders wütend macht: Am Sonntag hat er 3,10 Sekunden auf Marco Odermatt verloren, am Montag waren es 2,67 Sekunden.
Die schnellsten Aufsteiger
Normalerweise brauchen für den Sprung in die Top-10 im Weltcup selbst die absoluten Top-Stars zahlreiche Anläufe. Marco Odermatt hat sich auf der höchsten Stufe im 21. Rennen erstmals unter den ersten 10 klassiert (7. Val d’Isère 2018), Beat Feuz hat diesen Meilenstein in seinem 29. Weltcup-Einsatz erreicht (10 2011 in Kitzbühel). Umso eindrücklicher sind die Leistungen, die Franjo von Allmen (22) und Marco Kohler (26) letzte Woche in Gröden abgeliefert haben – die beiden Berner Oberländer haben ihre Top-Ten-Premiere im jeweils dritten Weltcup-Rennen geschafft. Der Meiringer Kohler wurde in der verkürzten Saslong-Abfahrt Achter, der Boltiger von Allmen wurde im Super-G Neunter und konnte am Tag danach mit dem zwölften Platz in der Original-Abfahrt eine weitere starke Talentprobe ab.
Der eindrücklichste Konter
«An Filips Vorlage wird sogar der grosse Odermatt scheitern», frohlockte Atomic-Rennchef Christian Höflehner am letzten Sonntag nach dem zweiten Lauf seines Schützlings Filip Zubcic. Dem Kroaten gelang auf der «Gran Risa» tatsächlich ein grandioses Rennen, dem drittplatzierten Slowenen Zan Kranjec knöpfte er sage und schreibe 2,26 Sekunden ab. Zum vierten Weltcupsieg reichte es Zubcic letztendlich doch nicht, weil Marco Odermatt der Vorgabe eben doch gewachsen war. Der Nidwaldner hat bei der Südtirol-Tournee in eindrücklichster Manier bewiesen, dass er der weltbeste Skirennfahrer der Gegenwart ist – in fünf Rennen hat er vier Podesplätze (zwei Siege in Alta Badia, zwei dritte Ränge in Gröden) eingefahren.
Die schönste Versöhnung
Dominik Paris hat die Grödener «Saslong» zeitweise regelrecht gehasst. Mit Ausnahme des dritten Rangs 2014 ist der 110-Kilo-Koloss, der knapp 50 Autominuten vom Grödnertal in Ulten (It) aufgewachsen ist, auf der Saslong immer am Abfahrt-Podium vorbeigefahren. Nachdem er im Vorjahr bei seinem Heimrennen abgeschlagen auf dem 42. Rang gelandet war, sagte Paris zum Wirt von Italiens Teamhotel: «Im nächsten Jahr werde ich nicht mehr hierherkommen, weitere Starts auf dieser Piste sind für mich komplett sinnlos!» Paris hat es sich dann doch noch einmal anders überlegt und hat am Samstag das geschafft, woran er selber nicht wirklich geglaubt hat: den ersten Sieg auf der «Saslong»!