Es ist 10.15 Uhr, als Nicole Good am Fuss des Jakobshorns regungslos im Schnee liegt. Zu diesem Zeitpunkt muss man mit dem Schlimmsten rechnen. «Ich war weiter unten auf der Strecke. Aber meine Trainerkollegen haben mir sofort gefunkt, dass ihr Unfall sehr heftig war», sagt Beat Tschuor.
Rückblick: Die St. Gallerin, frischgebackene Schweizer Meisterin im Slalom, startet in Davos mit der Startnummer 10. Ihr Beginn ist solide, doch dann verschlägt es Good bei einer Rechtskurve die Ski – sie knallt Kopf voran in den Schnee, rutscht einige Dutzend Meter weit.
Good verliert das Bewusstsein. Und weil die Regie des Livestreams (richtigerweise) darauf verzichtet, sie weiterhin zu zeigen, bleibt die Ungewissheit. Erst viel später erzählt Swiss-Ski-Chefarzt Walter O. Frey: «Nicole war noch an der Unfallstelle ansprechbar, und die Untersuchungen haben gezeigt, dass sie sich zum Glück keine schwerere Hirnverletzung zugezogen hat.»
Die Diagnose lautet: Gehirnerschütterung sowie Frakturen und Schürfwunden im Gesichtsbereich. Die Brüche seien stabil und müssten nicht operiert werden.
Dritte Gehirnerschütterung
Davon ahnt man zum Zeitpunkt, als Good mit dem Helikopter ins Spital von Chur transportiert wird, nichts. Fakt ist: Good hat 2022 gleich zwei Gehirnerschütterungen erlitten. Nach der zweiten ging es ihr zuweilen schlecht. Um sich, ihre Augen und ihren Kopf möglichst zu schonen, legte sich die Frohnatur aus Pfäfers SG auch tagsüber wochenlang ins Bett. Ohne Buch, Handy oder Musik – dafür in vollständiger Dunkelheit. Es galt, das Gehirn möglichst wenig Reizen auszusetzen.
Sie berichtete damals: «Ich musste das ganze System herunterfahren. Irgendwann habe ich dann während der vielen Spaziergänge mit meinen Eltern gemerkt, dass es mir besser ging.»
Sie näherte sich der Slalom-Weltspitze
Und tatsächlich: Good, die sich eher als «Schafferin» und nicht als Supertalent sieht, schaffte nicht nur die Rückkehr in den Ski-Zirkus, sondern fuhr so stark wie nie und arbeitete sich in den Startlisten nach vorne. Der vorläufige Höhepunkt? Platz 9 im letzten Dezember beim Slalom von Lienz (Ö). Aktuell ist sie im Slalom die Nummer 27 der Welt.
Speziell bei Good ist, dass der Super-G und nicht der Riesenslalom ihre zweitbeste Disziplin ist – das gibt es bei Slalomfahrerinnen selten. Im vergangenen Februar wurde sie bei einem Europacup-Super-G in Bosnien Achte. Ob Good nach ihrem Crash künftig weiterhin auf den langen Latten unterwegs sein wird, bleibt abzuwarten. Tschuor: «Wir hoffen alle, dass sich Nicole vollständig und so schnell wie möglich erholt.»
Beide Super-G-Rennen werden nachgeholt
Nach Goods Unfall wird in Davos nicht nur der Super-G der Frauen, sondern auch jener der Männer abgesagt. Der Grund: der wegen hoher Temperaturen zunehmend weicher werdende Schnee. Zunächst wurden die beiden Rennen auf Sonntag verschoben, können aber auch dann nicht stattfinden, wie am Morgen bekannt wird.