Diesen Cortina-Ausflug hatte sich Beat Hählen ganz anders vorgestellt. Anstatt sich mit seiner Tochter Joana zu freuen, muss er sie nach der zweiten Abfahrt trösten. Nicht nur das: Er untersucht sie kurz nach dem Rennen im Zelt, das im Zielraum aufgebaut ist. Als ehemaliger langjähriger Dorfarzt von Lenk BE ist ihm sofort klar: Etwas stimmt mit dem rechten Knie nicht.
Hählen wird kurz darauf von zwei Betreuern am riesigen VIP-Zelt entlang getragen, ehe sie von Sanitätern in einen Rollstuhl gesetzt wird. Jasmine Flury (30) trägt Hählens Ski-Sack und auch ihre Schuhe. «Ich begleite sie ins Spital», so die Bündnerin. Ein MRI gibt nach einigen Stunden Klarheit: Hählen hat sich das vordere Kreuzband gerissen – ihr Winter ist vorbei.
Der Schweizer Albtraum in Cortina findet mit Hählens Hiobsbotschaft eine Fortsetzung. Schon am Vortag hatte sich Corinne Suter (29) ebenfalls das Kreuzband gerissen, dazu erlitt Michelle Gisin (30) eine starke Schienbeinprellung. Während für Suter die Saison vorbei ist, wird die Situation bei Gisin laufend angeschaut – sie wird aber in den nächsten Tagen sicher keine Rennen fahren.
«Strecke ist nicht schuld»
Doch was passierte bei Hählen genau? Rückblick. Während am Vortag zwölf Athletinnen das Ziel nicht erreichen, sind es am Samstag neun. Wieder stürzen einige im oberen Streckenteil, die meisten bei der Delta–Kurve unmittelbar nach der Landung eines etwas abgetragenen Sprungs. Hählen meistert die Passage gut. Auch die Gran Curva, eine weitere Schlüsselstelle, bereitet ihr keine Mühe.
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Doch dann geschieht es, nach 1:10 Minuten Fahrzeit, doch noch: Bei einer Welle fliegt Hählen zu weit nach rechts und versucht, die anschliessende Linkskurve zu erwischen. Sie stürzt zwar nicht, doch der Druck auf ihr Knie in der Kompression ist gewaltig. Hählen schwingt ab und legt sich in den Schnee – danach fährt sie ins Ziel.
«Man kann nicht sagen, dass die Strecke schuld ist», sagt Alpin-Chef Hans Flatscher (51). Der Ehemann von Riesenslalom-Legende Sonja Nef (51) meint: «Letztlich war es ein Fehler. Aber dass wir schon wieder eine unserer besten Athletinnen verlieren, ist unglaublich bitter.» Cheftrainer Beat Tschuor fügt an: «Es macht mich beinahe sprachlos, was unseren Fahrerinnen in diesen zwei Tagen schon passiert ist.»
2011, 2014, 2018 und 2024
Hählen musste in ihrer Karriere schon oft unten durch. Sie riss sich schon dreimal das Kreuzband – 2011, 2014 und 2018. Beim letzten Mal verzichtete sie – so wie einst Carlo Janka (37) – auf eine chirurgische Rekonstruktion. «Es war die vielleicht beste Entscheidung meines Lebens», sagte Hählen einmal. Denn: Nach anfänglichen Schmerzen bei Überbelastungen bekam sie diese mit gezieltem Training in den Griff.
Gleichzeitig sagte Hählen vor diesem Winter bei einer Reportage mit Ex-Tennis-Ass Michel Kratochvil zu Blick: «Ich arbeite schon seit längerem am Timing, also an der Schwungauslösung. Dazu will ich noch besser mit dem Gelände arbeiten, die Sprünge besser drücken. Das kann man leider im Sommer fast nicht trainieren.» Aus heutiger Sicht wirken diese Worte wie eine böse Vorahnung.
Letztlich sei alles eine Frage ihres Selbstvertrauens, sagte Hählen im Herbst. «Ich habe gute Knie, aber ich muss sie pflegen – man wird ja nicht jünger.» Sicher ist: In den nächsten Monaten wird die Powerfrau ihr rechtes Knie besonders pflegen müssen.
Ob Hählen wie schon bei ihrem Kreuzbandriss im linken Knie auf eine Operation verzichten wird, ist offen. «Dafür entscheidend ist unter anderem, wie der Riss ganz genau aussieht», so Tschuor. Untersuchungen in der Schweiz werden Klarheit schaffen.