In der letzten Saison gewann er die kleine Kristallkugel in der Slalom-Wertung. Nun zieht er sich mit 23 Jahren Knall auf Fall aus dem Ski-Sport zurück. Am Freitag erklärt Lucas Braathen unter Tränen seinen Rücktritt. Den Entscheid ausgelöst habe das fehlende Freiheitsgefühl als Profiathlet. Auch stete Spannungen mit dem norwegischen Verband dürften aber eine Rolle gespielt gehabt haben.
Ein «anderer» Sportler
Braathens Mutter stammt aus Brasilien, der Vater aus Norwegen. Er selber kleidet sich gerne feminin, lackiert sich die Fingernägel. Er passt in keine Schublade und fiel im Ski-Zirkus auf. Ist mit seiner Art aber auch angeeckt. Auch das könnte bei seinem frühen Abtritt beeinflusst haben.
Anfangs Jahr gab Braathen in einem Interview mit dem «Red Bulletin» Einblick in seine Gefühlswelt. Damals gestand er, dass er Zeit seines Lebens immer Mühe hatte, Akzeptanz zu finden. Schon als Kind habe er nie richtig reingepasst. «Ich war als Kind völlig verunsichert, war überall, wo wir hinzogen, der Neue, der Schräge, der Aussenseiter. Ich versuchte, mich einzufügen, übernahm den Akzent, imitierte die Verhaltensweisen.»
Eigentlich wollte er wie Ronaldinho sein
Doch durch den Skisport fand Braathen zu sich selbst. Sein Vater, der in Norwegen in diversen Skigebieten gearbeitet hatte, führte ihn ein. Dabei war er anfangs überhaupt nicht begeistert. «Ich fand das zuerst überhaupt nicht cool, versuchte es mit allen möglichen Ausreden. Ich argumentierte, als Halbbrasilianer sei ich nicht für die Kälte gemacht», so Braathen.
Denn als Kind eiferte er eigentlich einem brasilianischen Fussballstar nach. «Zuerst war ich Fussballer und wollte werden wie Ronaldinho.» Doch mit der Zeit entdeckte er sein Talent für den Skirennsport – und setzte auf diese Karte. Das lohnte sich: Im Dezember 2018 durfte Braathen in Val-d’Isère im Weltcup für Norwegen debütieren. Knapp zwei Jahre später fuhr er im ersten Lauf des Slaloms von Kitzbühel mit Startnummer 34 auf den 1. Rang.
Er will mit alten Regeln brechen
Heute ist Braathens Idol nicht mehr Ronaldinho. Sondern Apple-Gründer Steve Jobs. «Er ist mein Vorbild, weil er sich den strengen Regeln, die in der damals noch konservativen Computerbranche herrschten, widersetzt hat. Er ist ausgebrochen und hat einfach durchgezogen, woran er geglaubt hat.»
Dasselbe nahm sich der junge Norweger auch für sich vor. Sein Ziel als Skiathlet sei es, den «Sport zu verändern». Und zwar, indem er konsequent sich selbst ist. Und sich nicht verstellt. «Ich will meine Persönlichkeit nicht einschränken müssen, nur weil das System es erwartet. Oder die Ski-Öffentlichkeit. Oder die norwegische Presse. Ich will mir nicht diktieren lassen, wie ich mich als Skifahrer zu verhalten habe. Und ich hoffe, dass ich dadurch für irgendjemanden eine Inspiration sein kann.»
Mit nur 23 Jahren tritt er nun von der Skibühne ab. Am Ende war die strikte, eintönige Skiwelt für ihn vielleicht doch zu starr und festgefahren. Zugutehalten darf er sich, dass er trotz Gegenwind für immer zu sich stand. Es geschafft hat, sportlichen Erfolg mit seiner Gesinnung zu vereinen. Und sich nicht scheute, sich selbst zu sein. (sbe)