Michelle Gisin (29) kann ihre Tränen nicht zurückhalten. Ernüchterung, Frust, Ohnmacht, Traurigkeit – sie spürt in diesem Moment alles. Verbandspräsident Urs Lehmann versucht, Gisin zu trösten. Es bleibt beim Versuch. Kein Wunder: Soeben hat Gisin den ersten Lauf des WM-Slaloms auf Rang 35 mit 2,69 Sekunden Rückstand beendet. Es ist der Tiefpunkt zweier Wochen, die schlechter kaum hätten laufen können. Zwar dürfte sie noch zum zweiten Lauf starten – so besagt es das WM-Reglement – doch Gisin verzichtet. «Der Fokus liegt für sie jetzt auf die Speed-Woche in Crans-Montana», schreibt der Verband.
Zugegeben: Gisin hat im Slalom Pech. Nach 40 Sekunden knallt ihr eine Stange derart unglücklich an die rechte Hand, dass sie den Stock verliert. Erst eine gefühlte Ewigkeit später kann sie ihn wieder greifen. «Wie ist das möglich?», ruft sie im Ziel und wirft die Stöcke weg. «Ich habe wohl in meiner ganzen Karriere noch nie den Stock im Slalom verloren. Vielleicht mal im Training, mit zehn Jahren oder so – ich muss mal meinen Dad fragen. Ich kann es mir nicht erklären», sagt sie im SRF.
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Bei allem Unglück muss man auch erwähnen: Zum Zeitpunkt, als das Stock-Missgeschick geschieht, liegt Gisin bereits weit zurück. Schon bei der ersten Zwischenzeit, nach nur 19 Sekunden, fährt sie nur die 35. Zeit. «In diesem Jahr kommt alles zusammen», sagt Gisin enttäuscht. Sie meint wohl die ganze Saison. Oder auch die WM. Die Analyse trifft auf beides zu.
Der Materialwechsel war ein Fehler
Lara Gut-Behrami (31) sprach nach ihrer medaillenlosen WM von «zwei Scheisswochen» in Méribel. Gisin dürfte nicht viel anders fühlen. Bereits die Kombination geht total in die Hose, sie wird nur Sechste – und das bei 18 Klassierten. Ihr Rückstand: 3,43 Sekunden. «Ich hatte Angst, auszuscheiden», gibt die zweifache Olympiasiegerin in dieser Disziplin zu.
Was nach der Kombi-Schmach folgt? Gisin fährt im Super-G auf Platz 10, verliert danach die interne Quali für einen Startplatz in der Abfahrt gegen Priska Nufer (31) und wird 28. im Riesenslalom. Und nun der Slalom-Stachel, der besonders tief sitzt.
Gisin war in den Savoyer Alpen meilenweit von einem Medaillengewinn entfernt. Sie steckt in der wohl grössten sportlichen Krise ihrer Karriere. Spätestens jetzt ist klar: Der Materialwechsel von Rossignol zu Salomon war ein Fehler – zumindest bislang.