Marco Odermatt ist unmittelbar nach der Zielankunft am Kvitfjell-Super-G richtig sauer. Als der Nidwaldner dann auf der Anzeigetafel sieht, dass Jeffrey Read (26), Sohn des legendären Crazy Canuck Ken Read, zwei Hundertstel schneller gefahren ist, greift er sich vielsagend an den Kopf. «Ich war mir sicher, dass ich mit dieser Fahrt den Sprung aufs Podest unmöglich schaffen kann. Und ich habe mich besonders genervt, weil ich die Tommy-Moe-Kurve bei weitem nicht so rund gefahren bin, wie ich mir das vor dem Start vorgenommen habe», erklärt Odermatt.
Am Ende dieses Tages darf sich der Jahrhundert-Athlet trotzdem über den 68. Podiumsplatz in seiner Weltcup-Karriere freuen. Aber: Weil Österreichs Vincent Kriechmayr (32) auf der Olympiapiste von 1994 seinen 18. Weltcupsieg einfährt, muss Odermatt bis zum Weltcup-Finale in Saalbach zumindest ein wenig um die kleine Super-G-Kugel zittern. 81 Punkte beträgt sein Vorsprung in der Disziplinen-Wertung. Das heisst im Klartext: Wenn Kriechmayr beim Heimspiel in Saalbach erneut triumphieren sollte, benötigt Odermatt für den Gewinn der Kugel einen 13. Rang. Aber wenn man in Betracht zieht, dass der dreifache Schweizer Sportler des Jahres in dieser Saison im Super-G nie schlechter war als Vierter, müsste es schon mit dem Teufel zu und hergehen, wenn diese Kugel in Kriechmayrs Vitrine landen sollte.
Die Gesamtweltcup-Rechnung
Was sowieso viel wichtiger ist: Odermatt gewinnt zum dritten Mal in Serie die grosse Kristallkugel! 11 Rennen vor Saisonschluss liegt der Buochser 918 Punkte vor dem Franzosen Cyprien Sarrazin und 933 Zähler vor Österreichs Manuel Feller. Weil Sarrazin nach seiner Wadenverletzung höchstens noch sechs Rennen und Feller noch neun Wettkämpfe bestreiten wird, darf sich Odermatt zum dritten Gesamtweltcupsieg gratulieren lassen. Dass Feller rein theoretisch die neun letzten Technik-Bewerbe und dann auch noch in der Abfahrt und im Super-G starten könnte, ist praktisch ausgeschlossen. «Deshalb würde ich unterschreiben, dass ich den Gesamtweltcup auf sicher habe», nickt Odermatt. Weiter könnte er Hermann Maiers Punktevorsprung-Rekord brechen. Der Herminator hat 2000/01 den Gesamtweltcup mit 743 Punkten Vorsprung gewonnen.
Einer, der sich ganz besonders über den neuerlichen Coup des Innerschweizers freut, ist Norwegens Altmeister Aksel Lund Svindal (41). Der zweifache Gesamt-Weltcupsieger (2006/07, 2008/09) outet sich in Kvitfjell als grosser Odermatt-Fan. «Marco ist nicht nur ein grossartiger Skifahrer, er ist auch ein überragender Teamplayer», schwärmt Svindal. «Es hat in der Vergangenheit ja viele grosse Rennfahrer gegeben, die sich mit Einzeltrainern vom Rest der Mannschaft abgekapselt haben. Aber Marco tut genau das Gegenteil. Ich habe ihn mehrmals beobachtet, wie er seine Teamkollegen wertvolle Ratschläge erteilt, wie er mit ihnen mitfiebert. Er macht genau das, was auch mir immer besonders wichtig war.»
Svindal ist deshalb überzeugt, dass die Schweizer Männer in Zukunft noch stärker auftreten werden. «Ein junger Athlet wie Franjo von Allmen wird dank eines derart herausragenden Team-Kapitäns wie Odermatt noch schneller wachsen. Marco wird vielen Schweizern den Weg an die Weltspitze ebnen.» Eine dieser Zukunftshoffnungen, die sich im Sog von Odermatt richtig prächtig entwickeln, ist der Walliser Arnaud Boisset. Der 25-Jährige klassiert sich beim Kvitfjell Super-G als Achter zum dritten Mal in seiner Weltcup-Karriere in den Top Ten.
