Die Adelbodner erleben in der Nacht von Montag auf Dienstag einen wahrhaftigen Albtraum. Es sind die höllisch milden Januar-Temperaturen, die der Crew von Rennleiter Reto Däpp und Pistenchef Toni Haari den Schlaf rauben. In den frühen Morgenstunden werden am «Chuenisbärgli» 14 Grad gemessen. An den meisten anderen Weltcup-Stationen hätte man in diesem Moment wohl die fürs Wochenende geplanten Rennen entnervt abgesagt.
Doch Reto Däpp hat sein Handwerk beim weltbesten Pistenpräparator gelernt. Die Rede ist von Hans Pieren, der nach seiner Rennfahrer-Karriere (zwei Weltcup-Podestplätze) während 28 Jahren die Rolle des Weltcup-Rennleiters in seinem Heimatort Adelboden interpretierte. Jetzt agiert der 60-Jährige als Berater von seinem Nachfolger. «Wenn Reto Däpp meinen Rat benötigt, ist er sich nicht zu schade, um mich anzurufen», erzählt «Housi» augenzwinkernd.
Die Adelbodner setzten auf ein natürliches Zaubermittel
Selbstverständlich haben Däpp und Pieren auch nach dieser fast schon verheerend warmen Nacht länger zusammen telefoniert. Danach war klar, dass einzig Pierens altbewährtes Hausmittel den Riesen- und den Slalom am «Chuenisbärgli» retten kann. «Damit sich die Schneeschmelze trotz dieser aussergewöhnlichen Temperaturen in Grenzen hält, haben wir den Rennhang mit rund 500 Kilo Salz bestreut» verrät Pieren, der kürzlich seine Biografie mit dem Titel «Ein Wille, ein Weg» auf den Markt gebracht hat.
Der Pisten-Zauberer legt Wert auf die Feststellung, «dass unsere Rezeptur aus reinem Speisesalz besteht. In der richtigen Dosierung eingesetzt, erhält der Schnee dadurch die gewünschte Kühlung. Wenn man aber zu viel Salz verwendet, verwandelt sich der Schnee in eine mehlige Pampe.» Weil Pieren das perfekte Mass kennt, hat er 2014 auch die Olympia-Goldmedaille von Zürcher Snowboard-Hero Iouri Podladtschikov gerettet.
Der Berner Oberländer weilte damals als FIS-Renndirektor für die technischen Alpin-Bewerbe in Sotschi. «Die Temperaturen waren zu diesem Zeitpunkt in Russland ähnlich warm wie jetzt in Adelboden. Am Abend nach dem Abschlusstraining in der Halfpipe haben mich die Freestyle-Verantwortlichen um Hilfe gebeten, damit ihnen die Halfpipe nicht wegschmilzt.» Pieren hat die Halfpipe mit seiner herkömmlichen Salzmischung am Leben gehalten.
Schweizer simulieren das salzige Heimspiel in Österreich
Auf einer besonders salzigen Piste haben in den letzten Tagen auch die Schweizer Riesenslalom-Cracks um Superstar Marco Odermatt auf der österreichischen Reiteralm trainiert. «Um das Heimspiel am Chuenisbärgli möglichst gut zu simulieren, wurde unsere Trainingspiste mit rund 700 Kilo Salz präpariert», erklärt Riesen-Cheftrainer Helmut Krug.
Der gebürtige Tiroler ist davon überzeugt, dass die Adelbodner trotz der widrigen Umstände am Samstag eine richtig gute Piste präsentieren werden. «Ich glaube, dass wir am Chuenisbärgli eines der besten Rennen in dieser Saison erleben werden. Gemäss meinen Informationen haben die Adelbodner einen richtig guten Pisten-Grundstock kreiert. Und wenn sich die Meteorologen nicht irren, werden die beiden letzten Nächte vor dem Riesenslalom richtig klar sein.»
«Es müsste noch zwei Grad kälter werden!»
Doch wie lautet die Prognose von Hans Pieren? «Ich bin mir sicher, dass wir an diesem Wochenende zwei gute Rennen erleben werden. Damit die Wettkämpfe sogar mit dem Prädikat sehr gut in die Geschichte eingehen, müsste es noch zwei Grad kälter werden.»
Gemäss den jüngsten Wetterprognosen wird das Thermometer in Adelboden allerdings erst anfangs nächster Woche in den Minus-Bereich fallen.