Stefan Rogentin ist auf der Lenzerheide in einer besonders klangvollen Umgebung gross geworden. Sein Vater Walter spielt Klarinette bei der berühmten Ländlerkapelle Oberalp, welche mehrere Goldene Schallplatten eingespielt hat. «In unserer Familie bin ich so ziemlich der Einzige, der nicht musikalisch aktiv ist», erzählt der 29-Jährige. «Dabei gab es in meiner Kindheit eine Phase, in der ich gerne Schlagzeuger geworden wäre. Aber weil ich damals neben dem Skisport auch noch ziemlich ambitioniert Eishockey gespielt habe, haben mir meine Eltern klargemacht, dass es für mich zu viel werden könnte, wenn ich auch noch anfange zu musizieren.»
Anstatt in den Musikcharts taucht der Name Rogentin nun regelmässig in den Top 10 der Speed-Weltcuprennen auf. Den grössten Hit hat der Bündner im Vorjahr mit dem zweiten Rang beim Lauberhorn-Super-G abgeliefert – einzig Aleksander Aamodt Kilde war an diesem Tag 27 Hundertstel schneller. Doch ein paar Tage später ist «Rogi» ein Mittagessen in Kitzbühel zum Verhängnis geworden.
«Ich habe eine Lebensmittelvergiftung erlitten und bin trotzdem bei beiden Abfahrten auf der ‹Streif› an den Start gegangen, was rückblickend betrachtet ziemlich fahrlässig von mir war!» Rogentin ist bei dieser gefährlichen Aktion zwar nicht gestürzt, aber die Kraft, um weitere Top-Ergebnisse einzufahren, hat ihm in den Tagen danach gefehlt.
Die Tragödie um seinen besten Freund
Viel Substanz hat Rogentin auch ein tragisches Ereignis am 4. November 2018 gekostet – an diesem Sonntag ist sein Rennfahrer-Kollege und Freund Gian Luca «Bari» Barandun bei einem Gleitschirmschulungsflug tödlich verunglückt. «Ich denke auch heute noch sehr viel an Bari», sagt Stefan und macht in Gedanken eine Reise in die Vergangenheit. «Bari wurde wie ich 1994 geboren, dadurch sind wir uns bereits bei den Kinder-Skirennen in Graubünden begegnet. Es hat in der Jugendzeit Phasen gegeben, in denen wir uns nicht so gut verstanden haben. Doch dann hat sich zwischen uns eine ganz besondere Freundschaft entwickelt.»
Rogentin denkt besonders gerne an die Zeiten zurück, in denen er mit Barandun und Gilles Roulin mit einem Bus im Ausland von einem Skirennen zum nächsten gefahren ist. «Wir hatten dabei wirklich sehr viel Spass, meistens haben wir im Bus einen Coiffeur-Jass geklopft. Und in der Saisonvorbereitung haben Bari und ich lange Touren mit dem Rennrad zusammen absolviert. Es war eine intensive, aber wunderschöne Zeit.»
«Habe zu viel in mich hineingefressen»
In den ersten Monaten nach dem Tod seines Freundes hat Rogentin extrem professionell funktioniert. «Weil ein paar Wochen später die Weltcuprennen in Nordamerika auf dem Programm standen, ist mir nicht viel anderes übrig geblieben, als in den Alltag zurückzukehren.»
Die Nachwehen setzten aber im Frühling 2019 ein: «Als die Saison vorbei war und ich erstmals richtig Zeit hatte, um über alles nachzudenken, sind für mich die richtig schwierigen Zeiten gekommen, in denen es mit mir ziemlich bergab ging. Ich hatte zwar eine Freundin, die mir viel geholfen hat. Aber rückblickend betrachtet stelle ich fest, dass ich damals zu viel in mich hineingefressen habe. Heute würde ich viel mehr mit anderen Leuten über mein Leid reden.»
Zum Glück geht es Rogentin seelisch und körperlich jetzt wieder richtig gut. Und gestern ist dem Sohn des «Ländlerkönigs» bei der Hahnenkamm-Abfahrt mit dem zehnten Rang ein weiterer Hit geglückt – besser war er in der Königsdisziplin einzig 2022 mit dem achten Rang am Lauberhorn.