Was würde sich ein Skirennfahrer wünschen, wenn er zwischen Olympiasieg, WM-Titel oder Gesamtweltcup wählen könnte? Sicher, eine Goldmedaille funkelt mehr als eine Kristallkugel. Aber ein Gesamtweltcupsieg ist der Ritterschlag schlechthin – er zeichnet den komplettesten und konstantesten Fahrer aus. Heisst: Den Besten. Wer im Frühling am meisten Weltcuppunkte hat, ist immer ein verdienter Ski-König.
Oder eine Ski-Königin, wie im Fall von Lara Gut-Behrami. Sie war 2016 die letzte Schweizerin, die dieses Kunststück schaffte. Wie stehen die Chancen, dass sie den Coup nun wiederholt? «Sie kann den Gesamtweltcup gewinnen», ist Frauen-Cheftrainer Beat Tschuor überzeugt. Gut-Behrami selbst will davon nichts wissen. «Ich hatte einen guten Sommer und bin bereit», sagt sie vor dem Saisonauftakt in Sölden – an die grosse Kristallkugel denkt sie keine Sekunde.
9/9/9/9 – «nun ist es fair»
Sicher ist: Gut-Behrami hat in diesem Winter einen grossen Trumpf in der Hand. Erstmals in ihrer Karriere findet sie einen ausgeglichenen Weltcup-Kalender vor. Je neun Rennen stehen in Slalom, Riesenslalom, Super-G und Abfahrt auf dem Programm – dazu gibt es einen Parallel-Wettkampf. «Endlich», lobt die Tessinerin, «viele Fahrerinnen fordern dies seit vielen Jahren. Ich auch. Nun ist es fair.»
Tatsächlich hätte Gut-Behrami womöglich bereits im letzten Winter den Gesamtweltcup gewonnen, hätte es nicht ein Ungleichgewicht zwischen Speed- und Technik-Bewerben (13:17) gegeben. Rechnet man den Punkteschnitt der letzten Saison auf je neun Rennen pro Disziplin hoch, hätte Gut-Behrami nicht 1256 Punkte geholt, sondern 1603. Und Petra Vlhova (26) nicht 1416, sondern 1483. Der Slowakin hätte also auch der Sieg beim Parallel-Rennen von Lech nichts genützt.
Vlhova selbst meint, dass der ausgeglichene Kalender «interessant» sei für den Gesamtweltcup. «Da gibt es viele, die um die grosse Kugel mitkämpfen werden», sagt sie in einem Online-Mediengespräch. Sie selbst werde den Fokus neu setzen. «Dieses Mal sind die Olympischen Spiele das Hauptziel», so Vlhova.
Shiffrin als Top-Favoritin?
Bedeutet das nun, dass Gut-Behrami der rote Teppich ausgerollt wurde? Nein. Viel zu viel kann in einem Winter passieren – Formschwächen, Materialprobleme, Corona, Rennabsagen. Dazu greift die vielleicht grösstmögliche Rivalin wieder richtig an: Mikaela Shiffrin (26). Der US-Star kündigt an: «Ich will so viele Rennen fahren wie möglich, auch in der Abfahrt und im Super-G.»
Das verheisst für Shiffrins Rivalinnen nichts Gutes. Das sieht auch SRF-Expertin Tina Weirather so: «Ich denke auch, dass Lara den Gesamtweltcup gewinnen kann. Aber wenn Shiffrin wieder voll da ist und viele Speedrennen fährt, wird es extrem schwierig.» Marc Girardelli (58) bläst ins gleiche Horn. Der fünffache Gesamtweltcupsieger aus Luxemburg sagt: «Shiffrin, Vlhova oder sogar Katharina Liensberger könnten es packen. Aber ich traue Lara alles zu.»
Gold-Vreni drückt Daumen
Und was meint Vreni Schneider (56), die 1995 als vorletzte Schweizerin den Gesamtweltcup gewann? Die Ski-Legende aus Elm sagt: «Ich habe Lara ihren Erfolg schon 2016 sehr gegönnt. Und ich würde mich erneut sehr freuen, wenn sie es wieder schafft!»