Nie zuvor waren im September so viele Weltklasse-Abfahrer derart nervös wie in diesem Jahr. Denn wegen der am 29. Oktober angesetzten Premiere der Matterhorn-Abfahrt beginnt die Speed-Weltcup-Saison heuer einen Monat früher als bisher.
Einige Cracks befürchten deshalb, dass die Vorbereitung auf die rund vier Kilometer lange «Gran Becca»-Strecke zu kurz kommt. Beat Feuz stellt aber auch diesbezüglich eine grosse Ausnahme dar. Der Olympiasieger und vierfache Abfahrts-Gesamtweltcup-Triumphator sitzt ganz entspannt in der Lobby des Schweizer Mannschaftshotels in Zermatt und verrät mit einem breiten Grinsen seine aussergewöhnliche Devise: «Wenn die Abfahrts-Saison einen Monat früher beginnt, beginne ich einen Monat später mit dem Ski-Training!»
Die Hälfte weniger Ski-Trainingstage als die Österreicher
Kein Schmäh: Während seine grossen Austria-Kontrahenten Matthias Mayer (32) und Vincent Kriechmayr (30) bereits Anfang August ins Schnee-Camp nach Chile gereist sind, hat Feuz das Ski-Training erst Ende August in Zermatt in Angriff genommen. Er hat deshalb bis jetzt erst zehn Skitage in den Beinen.
Die Österreicher hingegen haben wie die meisten anderen Speed-Spezialisten bereits 20 Schnee-Tage auf dem Tacho. «In den letzten Jahren bin ich jeweils mit einer Vorbereitung von 16 Schneetagen nach Nordamerika gereist. 16 Schneetage werde ich bis zum Speed-Auftakt in Zermatt auch in diesem Jahr aufweisen», prognostiziert der Emmentaler und legt nach: «Einem 20-Jährigen würde ich meine Saisonvorbereitung nicht empfehlen. Aber ich habe in den letzten Jahren genau herausgefunden, was ich brauche und was nicht. Ich glaube, dass ich auch jetzt noch weiss, was gut für mich ist.»
«Beat ist und bleibt ein Phänomen»
Auch Österreichs Speed-Cheftrainer Sepp Brunner ist davon überzeugt, dass Feuz mit dieser Strategie auch im kommenden Winter erfolgreich sein wird. «Als ehemaliger Swiss-Ski-Trainer habe ich Beat zehn Jahre lange gecoacht und entsprechend gut kennengelernt. Deshalb weiss ich ganz genau, dass es im Weltcup-Zirkus keinen anderen Rennfahrer gibt, welcher derart wenige Schnee-Trainingstage braucht, um schnell zu sein. Er ist und bleibt ein Phänomen!»
Beats grosses Jugend-Idol Stefan Eberharter (53, zweifacher Gesamtweltcupsieger) hat in der Blütezeit seiner Karriere übrigens ähnlich funktioniert. 2014 verkündete der Tiroler in einem Interview mit Blick: «Wenn ich als 20-Jähriger meinen Trainingsplan nicht jeden Tag bis auf die letzte Zeile abgearbeitet hatte, hatte ich ein so schlechtes Gewissen, dass ich kaum einschlafen konnte. Aber mit 27 Jahren habe ich gemerkt, dass ich weniger Einheiten brauche und stattdessen mehr Wert auf die Regeneration legen sollte.»
Ab diesem Zeitpunkt hat Eberharter 29 Weltcupsiege, acht Kristallkugeln und eine Olympia-Goldmedaille gewonnen. Der 35-jährige Feuz hat derzeit 16 Weltcup-Erfolge auf seinem Konto.