Auf einen Blick
- Diese Saison meistern auch Athleten mit weniger feiner Technik das Kernen-S
- Wesentlicher Grund: Eine Ausweiche schafft etwa einen Meter Platz mehr
- Bisher konnte Odermatt am Kernen-S auftrumpfen, das könnte sich nun ändern
Das Kernen-S am Lauberhorn ist die aussergewöhnlichste Passage im Abfahrts-Zirkus. Bei dieser Rechts-links-Kombination über die schmale Brüggli-Passage mussten bisher selbst renommierte Rennfahrer bei der Einfahrt den Stemmbogen anwenden.
Nur begnadete Techniker wie Marco Odermatt (27), Vincent Kriechmayr (33) oder unsere Altmeister Beat Feuz (37) und Carlo Janka (38) haben diese nach Bruno Kernen (Weltmeister 1997, Lauberhorn-Sieger 2003) benannte Stelle regelmässig voll auf Zug gemeistert. Doch in den beiden Lauberhorn-Trainings in diesem Jahr haben auch Athleten, deren Technik nicht ganz so fein ist, diesen legendären Streckenabschnitt ohne grössere Probleme gemeistert.
Odermatt: «Bin ein wenig erschrocken»
Österreichs Speed-Cheftrainer Sepp Brunner nennt die Gründe: «Die Anfahrtsgeschwindigkeit ist heuer nicht ganz so hoch. Während im Vorjahr bei der Einfahrt mit 111 km/h gemessen wurde, war die Einfahrtgeschwindigkeit in den letzten Trainings bei 106 km/h. Der wesentlichste Punkt ist aber, dass die Rennfahrer in diesem Jahr im Brüggli dank einer Ausweiche einen knappen Meter mehr Platz haben.»
Diese Veränderung ist auch Titelverteidiger Odermatt sofort ins Auge gestochen: «Ich bin ein wenig erschrocken, als ich bei der ersten Besichtigung gesehen habe, dass man an dieser Stelle jetzt einen Meter mehr Platz hat.» Im letzten Winter legte der Nidwaldner im Kernen-S sowohl in der originalen als auch in der verkürzten Abfahrt die Basis für seine Triumphe. Hat der dreifache Gesamtweltcupsieger seinen Brüggli-Trumpf nun verloren?
TV-Spektakel im Brüggli jetzt Geschichte?
Beat Feuz, der neben dem Österreicher Franz Klammer als einziger die Weltcup-Abfahrt in Wengen BE dreimal gewinnen konnte, nickt: «Es kann schon sein, dass Odermatt diesen Trumpf verloren hat. Aber er besitzt nach wie vor derart viele andere Trümpfe, dass wir uns um ihn keine grossen Sorgen machen müssen.»
Auch ÖSV-Coach Sepp Brunner muss sich keine grossen Sorgen machen, weil sein Teamleader Vincent Kriechmayr (Lauberhorn-Sieger 2022) im Training einen sehr starken Eindruck hinterlassen hat. Brunner findet es dennoch «ein bisschen schade, dass die Brüggli-Passage jetzt breiter ist. In der Vergangenheit haben sich die TV-Zuschauer immer ganz besonders auf die Bilder von dieser Passage gefreut. Man durfte bei jedem Athleten gespannt sein, wie er diese Schlüsselstelle meistern wird. Aber ich befürchte, dass wir in diesem Jahr beim Brüggli nicht mehr die ganz grossen Unterschiede sehen werden.»
Feuz betrachtet dies etwas differenzierter. «Das Brüggli gehört zu den besonderen Traditionen im Ski-Zirkus. Und ich bin grundsätzlich der Meinung, dass man Traditionen pflegen muss. Aber obwohl die Rennfahrer hier nun etwas mehr Platz haben, habe ich aus den Trainings Videobilder gesehen, die dennoch spektakulär waren. Und es könnte sein, dass das Rennen durch diese Anpassung spannender wird. In den letzten Jahren war es oft so, dass die drei schnellsten im Brüggli auch im Ziel die Ränge eins bis drei belegt haben. Vielleicht wird sich das jetzt ändern.»