Das süsse Gefühl des Siegens kennt Lara Gut-Behrami (32) nur allzu gut. Olympiagold, WM-Titel, Gesamtweltcup – sie hat alles gewonnen. Mehr geht nicht. Oder? Doch! An diesem Sonntag am Gamskogel erlebt die Tessinerin ganz besondere Momente. «Ich bin schon etwas emotional», gibt sie zu. Der Grund dafür: Gut-Behrami gewinnt in Zauchensee den Super-G, es ist ihr 40. Sieg im Weltcup. «Ich schaue eigentlich nicht gross auf Zahlen und Rekorde. Aber 40 Siege, das ist unbeschreiblich. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so eine Zahl erreichen würde.»
Nur sechs Frauen in der Geschichte des Weltcups haben häufiger gewonnen. Zuvorderst liegt Mikaela Shiffrin (USA) mit 93 Siegen – sie bleibt unerreicht. Wie weit es Gut-Behrami noch schaffen kann? Anja Pärson könnte sie noch in diesem Winter noch packen – die Schwedin hat 42 Mal gewonnen. Vor allem aber hat Gut-Behrami eine Schweizer Ski-Legende eingeholt: Pirmin Zurbriggen (60) – auch er holte 40 Siege. «Ich kann mich nicht auf ein Level mit ihm stellen. Das kann man nicht vergleichen», winkt sie bescheiden ab.
Zurbriggen sieht das etwas anderes. «Ich freue mich für Lara. Sie ist eine der grössten Skirennfahrerinnen der Geschichte. Um die Latte von 40 Siegen zu überspringen, braucht es viel – da gibt es nur wenige, die das schaffen.» Besonders gefalle ihm, mit welcher Freude und Begeisterung Gut-Behrami nach wie vor unterwegs sei. «Und sie darf mich künftig gerne überholen, da hätte ich gar nichts dagegen. Und ich bin auch überzeugt, dass sie es schaffen wird», so der ehemalige Mister Super-G aus dem Wallis.
OK-Chef Walchhofer zieht den Hut
Gut-Behrami kostet den Moment aus. Sage und schreibe 17 Jahre nachdem sie an gleicher Stätte bei der Junioren-WM Abfahrts-Silber holte, strahlt sie erneut. «Hier fing es an, spannend zu werden», blick sie zurück. «Seither ist so viel passiert. Nicht nur Schönes, ich verletzte mich und hatte eine lange Leidenszeit. Dass ich heute wieder so gut fahren darf, macht mich stolz. Es ist der Wahnsinn, einfach unglaublich.»
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Unglaublich ist auch Gut-Behramis Fahrt auf der vielleicht schwierigsten Strecke im Frauen-Zirkus. Sie fährt angriffig, präzise und lässt die Ski immer laufen. «Ich bin von oben bis unten so gefahren, wie ich wollte. Diesmal habe ich mich getraut, meinem Instinkt vertraut und alles durchgezogen. Als ich im Ziel war, dachte ich, dass es zum Sieg reicht.»
Sie behält recht. Nicht einmal die starken Österreicherinnen, die im Vorfeld drei Tage auf der Kälberloch-Strecke trainieren durften, können ihr das Wasser reichen. Gut-Behramis Vorsprung auf Cornelia Hütter beträgt letztlich 25 Hundertstel. In einem Rennen der extrem knappen Abstände – 19 Fahrerinnen verlieren weniger als eine Sekunde – ist das fast schon eine Weltreise. «Lara hat heute allen den Meister gezeigt, ich ziehe meinen Hut», sagt OK-Chef Michael Walchhofer.
«Ein Geschenk für uns alle»
Dass im Gegensatz zum Super-G am Freitag mit Roland Platzer ein Schweizer Coach den Kurs setzen durfte, ist wichtiger Puzzlestein des Swiss-Ski-Erfolgs. «Wir wussten, dass die Österreicherinnen hier trainiert haben. Roli hat darum ein wenig anders gesteckt und auch mal den Rhythmus gebrochen – es war extrem cool», so die fünftplatzierte Michelle Gisin.
Zurück zu Gut-Behrami. Besonders schön ist, dass sie den Tag an der Seite ihrer Eltern Pauli und Gabriella geniessen kann. «Dank ihnen, aber auch dank meines Mannes zu Hause bin ich gelassener in diesen letzten Jahren meiner Karriere. Das heisst nicht, dass ich mich nicht aufrege, wenn es nicht läuft. Aber so etwas zusammen zu geniessen, ist ein wunderschönes Gefühl – ein Geschenk für uns alle.»
Und Zurbriggen? Er hat einen Rat an Gut-Behrami. «Ja nicht anfangen, die Siege zu zählen», sagt er lachend. «Aber da mache ich mir keine Sorgen. Laras Erfolgsrezept ist das, welches auch ich immer hatte: Sie liebt das Skifahren.»