Wir schreiben den 5. Januar 2008: Der zehnjährige Marco Odermatt sitzt in seinem Elternhaus in Buochs vor dem Fernseher und verfolgt den Riesenslalom in Adelboden. Obwohl sein grosses Idol Didier Cuche im zweiten Lauf vom zweiten auf den zwölften Rang zurückfällt, ist der kleine «Odi» nach der Übertragung überglücklich. Das Schweizer Riesen-Team verbucht dank Marc Berthod und Dani Albrecht einen Doppelsieg. Seitdem stand beim Riesen-Klassiker in Adelboden kein Schweizer mehr auf dem Podest.
«Das war wirklich ein sensationelles Rennen», erinnert sich Odermatt. «Und wegen seinen längeren Haaren und seinem insgesamt lockeren Erscheinungsbild fand ich Berthod damals etwas cooler als Albrecht.»
Die Karriere des coolen Bündners gerät nach dieser Gala am «Chuenisbärgli» vor allem wegen Rückenbeschwerden ins Stocken. Im Sommer 2008 strahlt Marco aber noch einmal wegen Marc übers ganze Gesicht. «Ich war mit meinem Vater in Saas-Fee, als die Schweizer Mannschaft auf dem dortigen Gletscher trainierte. Plötzlich ist uns Marc Berthod über den Weg gelaufen und ich durfte ein Erinnerungsfoto mit ihm machen – ein wunderbarer Moment!»
Berthod: «Mental ist Marco viel stärker als ich»
Mittlerweile ist es Berthod, der zu Odermatt hinauf schaut. Der 37-Jährige gerät regelrecht ins Schwärmen, wenn er auf den mittlerweile 23-jährigen Nidwaldner angesprochen wird: «Marco verkörpert die perfekte Mischung zwischen Abgeklärtheit und Frechheit. Die nötige Frechheit habe ich damals zwar auch an den Tag gelegt, aber er ist mental viel stärker, als ich es war. Odermatt besitzt die seltene Fähigkeit, um in den heissesten Situationen besonders cool zu bleiben.»
Diese Coolness hat Odermatt vor knapp fünf Wochen beim Riesenslalom in Santa Caterina ausgepackt. Obwohl er dort zum ersten Mal in seiner Karriere mit der Last des Halbzeit-Leaders umgehen musste, fuhr er seinen ersten Weltcupsieg im Riesenslalom mit spielerischer Lockerheit ein.
Berthod legt nach: «Enorm beeindruckend ist für mich auch die Konstanz, die Marco in seinem jungen Alter schon zeigt. Ich war mir zwar vor dieser Saison sicher, dass er im einen oder anderen Riesen um den Sieg mitfahren kann. Aber ich habe niemals damit gerechnet, dass Odi in jedem Riesenslalom vorne mitfährt und mit der roten Startnummer des Gesamtführenden nach Adelboden kommt.»
Odermatts Form stimmt
Odermatts war in vier Riesenslaloms diesen Winter nie schlechter als Vierter (1. und 3. in Santa Caterina, 2. in Sölden, 4. in Alta Badia). Und in den letzten Trainings hat der Youngster, der genau wie die Alpin-Legenden Pirmin Zurbriggen, Jean-Claude Killy und Bernhard Russi 1,83 Meter misst, einen besonders bestechenden Eindruck hinterlassen.
«Marco hat mir auf der Reiteralm in jedem Lauf mindestens acht Zehntel abgenommen. In dieser Verfassung wird Odermatt kaum zu schlagen sein», sagt der Walliser Justin Murisier, der beim letzten Riesenslalom in Alta Badia unmittelbar vor Odermatt Dritter wurde.
Und wie lautet die Prognose von Marc Berthod vor dem Riesen-Klassiker am «Chuenisbärgli»? «Die Chance ist gross, dass mich Marco an diesem Wochenende als letzter Schweizer-Triumphator des Adelboden-Riesens ablösen wird.»