Zu Besuch auf dem Bauernhof von Schwinger Thomas Sempach
«Härte und Biss holt man sich bei der Arbeit»

Wofür steht der Schwingsport? Warum ist das Schwingen derart populär geworden? Ein Besuch bei Thomas Sempach auf seinem Bauernhof liefert die Antwort. Er ist der Schwinger aus der anderen Zeit. Die Reportage mit dem letzten Mohikaner der goldenen Generation.
Publiziert: 11.09.2024 um 00:39 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2024 um 09:39 Uhr
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Thomas Sempach steht vor seinen Hühnern auf.
Foto: Pius Koller

Auf einen Blick

  • Thomas Sempach ist Schwinger und Bauer
  • Er trainiert mit selbstgebauten Betonhanteln und sprintet Feldwege hoch
  • Er hat fünf Eidgenössische Kränze und insgesamt 124 Kränze gewonnen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Felix BingesserReporter Sport

Heimenschwand, morgens um 5 Uhr. «100 Meter nach dem Skilift rechts hinauf, es brennt Licht im Stall», sagt Thomas Sempach fröhlich ins Telefon. Kurz danach steht er da. In seinem Melcher-Mutz, den Gummistiefeln und seinem Käppi auf dem Kopf.

Wenn Sempach aufsteht, dann schlafen seine Hühner noch. Um 20.45 Uhr geht er ins Bett, um 4.45 Uhr klingelt der Wecker. «Acht Stunden Schlaf braucht man, wenn man mit 39 Jahren noch schwingen will. Die Regeneration ist das Wichtigste», sagt er.

Jeremias Gotthelf hätte seine helle Freude an dieser Idylle an der Grenze des Emmentals zum Berner Oberland. Aber es ist nicht Ueli der Pächter, der mit dem Melkstuhl am Hintern die Schwänze der Kühe anbindet. Sondern Thomas der Besitzer. Vater Urs, einst selber Kranzschwinger, treibt die Kühe von der Weide, sein Sohn weist ihnen im Stall ihren Platz zu. «Achtung, es spritzt dann ziemlich weit, wenn die Kühe ihr Geschäft verrichten», lacht er.

Tägliche Arbeit als Training

«Eine Kuh frisst in so einer Nacht bis zu 100 Kilo Gras», erklärt Sempach. Und tätschelt einem seiner Prachtstiere liebevoll auf den Hintern. «Das ist Calanda, eine Maximumkuh. Sie hat bei der Bewertung 98 Punkte erhalten.» Der Stolz in den Worten des Präsidenten der Viehzuchtgenossenschaft Buchholterberg ist zu hören.

Thomas Sempach ist neben Florian Gnägi und Bernhard Kämpf der letzte Mohikaner der goldenen Berner Schwinger-Generation um Christian Stucki, Matthias Sempach, Kilian Wenger und Matthias Glarner. Vier Berner Könige sind in dieser Ära gekürt worden. Er selber gehört nicht dazu. Fünfmal hat er den Eidgenössischen Kranz gewonnen, insgesamt sind es bis jetzt 124 Kränze. Die Siege auf dem Brünig und auf der Schwägalp kommen als Höhepunkte dazu.

Für den Erfolg bei einem Fest mit Eidgenössisschem Charakter hat es nicht gereicht. Für Sempach ist die Schwingerei immer ein Hobby geblieben. «Aber ich bin sehr zufrieden mit meiner Karriere. Wer ganz an der Spitze mitmischen will, der kann kaum mehr 100 Prozent arbeiten.» Und er arbeitet weit mehr als 100 Prozent.

Und so macht er halt aus der Zeitnot eine Tugend. «Die tägliche Arbeit habe ich immer als Training gesehen. Da holt man sich die Härte und den Biss, den es beim Schwingen braucht.»

Erst die Kühe, dann das Schwingfest

Nachdem er seine 20 Kühe gemolken und das Milchgeschirr gewaschen hat, legt er sich vor dem Stall auf die Mauer, packt seine Hanteln und schiebt eine kleine Trainingseinheit dazwischen. Sempach, der nicht nur den Hof bewirtschaftet, sondern in einem Teilzeitpensum auch noch als Maurer auf dem Bau arbeitet, hat sich die Hanteln vor 16 Jahren auf einer Baustelle selber gebastelt. Und nachdem er die je 37 Kilo schweren Betonhanteln 30-mal gestemmt hat, sprintet er in den Gummistiefel noch dreimal den steilen, 60 Meter langen Feldweg hinauf, der von seinem Hof zum Wald führt. «Mein Intervalltraining», lacht er.

In der Zwischenzeit bringt sein Vater die Milch in die Käserei. In Empfang genommen wird sie von David Maurer. Auch er ist Kranzschwinger und produziert mit Sempachs Milch Emmentaler Käse. Richtigen AOP-Emmentaler. «97 Prozent des Emmentaler Käses werden im Ausland produziert.»

Der Dinosaurier

Vor allem die jungen Berner haben dem Jubiläumsschwingfest in Appenzell am Sonntag den Stempel aufgedrückt. Auch der älteste Teilnehmer in Appenzell ist ein Berner. Urgestein Thomas Sempach ist mit 39 Jahren der Dinosaurier der Schwingergilde. Normalerweise hält er mit seinen Defensivqualitäten den jungen Draufgängern den Rücken frei. «Mir ist es diesmal nicht so gut gelaufen. Aber die Jungen haben sensationell geschwungen. Aber ich habe trotzdem mit unserem Team tüchtig gefeiert», sagt Sempach. Den herausragenden Teamgeist führt Sempach vor allem auf einen Punkt zurück: «Bei uns gibt es halt keinen Kantönligeist, wie dies in anderen Teilverbänden der Fall ist.»

Vor allem die jungen Berner haben dem Jubiläumsschwingfest in Appenzell am Sonntag den Stempel aufgedrückt. Auch der älteste Teilnehmer in Appenzell ist ein Berner. Urgestein Thomas Sempach ist mit 39 Jahren der Dinosaurier der Schwingergilde. Normalerweise hält er mit seinen Defensivqualitäten den jungen Draufgängern den Rücken frei. «Mir ist es diesmal nicht so gut gelaufen. Aber die Jungen haben sensationell geschwungen. Aber ich habe trotzdem mit unserem Team tüchtig gefeiert», sagt Sempach. Den herausragenden Teamgeist führt Sempach vor allem auf einen Punkt zurück: «Bei uns gibt es halt keinen Kantönligeist, wie dies in anderen Teilverbänden der Fall ist.»

Wenn Feste in Sempachs Region stattfinden, wie der Brünig-Schwinget oder das Berner Kantonale, dann ist noch früher Tagwache. «Dann habe ich mit dem Käser abgemacht, dass wir die Milch schon kurz nach fünf Uhr bringen können, damit ich dann rechtzeitig beim Fest bin. Für mich ist die Stallarbeit die beste Vorbereitung. Wenn die Kühe versorgt sind, kann ich beruhigt an ein Schwingfest fahren.»

Die Buben schwingen auch schon

Nach der Frühschicht warten seine Frau, die 6-jährige Tochter und die beiden Buben (4 und 2) mit dem Frühstück. Im alten Bauernhaus wohnt sein Onkel, das Stöckli hat Sempach für seine Eltern und seine eigene Familie so ausgebaut, dass jetzt für alle genug Platz ist. Den zwei Buben ist es nach dem Essen schnell langweilig. «Wollt ihr schwingen?», fragt der Vater. Die beiden nicken, stellen sich auf dem Sofa auf, greifen sich an die Hosen und warten auf das «Guet» des Vaters. Dann beginnt die Rangelei.

Bei Sempachs sitzt man auf geschnitzten Stühlen, die meisten davon hat er vom Kemmeriboden-Schwinget nach Hause gebracht. Das Cheminée in der Stube, neben dem er mit seinen zwei Buben für ein Foto posiert, ist der Preis vom Unspunnen-Schwinget. Und auch im Rest des Hauses zeugen geschnitzte Holztruhen von seiner 20-jährigen Karriere.

Auf seinem Hof sind einst sein Grossvater und der Grossvater von Schwingerkönig Matthias Sempach zusammen aufgewachsen. «Irgendwann im 18. Jahrhundert ist der Bauernhof gebaut worden. Seither ist er im Besitz der Familie Sempach. Und wenn der Mann, der bis vor wenigen Jahren noch mit Hosenträgern geschwungen hat, mit seinen 125 Kilo so gemütlich und entspannt am Tisch sitzt, da spürt man, dass er einer der letzten Vertreter der «alten Schwingergeneration» ist. «Ich habe immer noch Freude und Lust. Aber dass ich nicht mehr der Jüngste bin, merke ich vor allem, wenn ich beispielsweise gegen Reto Thöni oder gegen Florian Grab schwinge. Früher habe ich mit ihren Vätern duelliert.»

«Diese Diskussion ist total fehl am Platz»

Ist das Schwingen zu pompös, zu kommerziell geworden? Sempach zuckt mit den Schultern. «Man muss mit der Zeit gehen», sagt er. Er selber hat nur kleinere Sponsoren gehabt und hat auch sein Auto immer selber gekauft. Sein «Lohn» waren die Lebendpreise, die er teilweise mit auf seinen Hof genommen hat. Oder eben die Stühle, die Truhen, die Glocken. Die hängen im kleinen Restaurant neben dem Skilift Heimenschwand.

Das Gebäude gehört Sempach und seinem Bruder, der früher ebenfalls geschwungen hat. Doch der Skilift, der 1969 gebaut wurde und über seine Wiese führt, ist die letzten zwei Jahre nicht mehr in Betrieb gewesen. «Früher haben wir Anfang Dezember den Betrieb aufgenommen und an Ostern wieder eingestellt. Aber jetzt ist das an einem Südhang auf 1000 Meter wohl bald endgültig vorbei», sagt Vater Urs, der als Kind noch mit den Ski in die Schule gefahren ist.

Sempach gilt als eher defensiver Schwinger, der kaum zu bezwingen ist. «Ich habe als Junger jeden Haken gemacht und bin voll drauflos», sagt er. Aber einige schwere Verletzungen haben seinen Schwingstil «realistischer» werden lassen, wie er es nennt. «Wenn man mit 39 Jahren noch schwingen will, dann ist das halt nicht immer spektakulär. Aber mir muss keiner sagen, wie ich zu schwingen habe. Diese Diskussion ist total fehl am Platz.» Jeder kämpft im Schwingen mit den Möglichkeiten, die er hat. «Wenn ich einen, der 40 Kilo leichter ist, nicht besiege, muss ich den Fehler bei mir suchen. Nicht beim anderen», sagt Sempach.

Wenn die Gesundheit mitmacht und der Vater weiter auf dem Hof mithilft, will Sempach noch ein Jahr anhängen. Obwohl er viele Pläne hat. Er will einen Laufstall bauen, er übernimmt bald noch zusätzlich den Hof seiner Tante. Mit drei Kindern, zwei Bauernhöfen, als Präsident der Viehzuchtgenossenschaft, als Verwaltungsrat beim Skilift Heimenschwand und als technischer Leiter beim Schwingklub Oberdiesbach wird ihm auch nach der Karriere nicht langweilig.

«Aber jetzt muss ich los. Ich habe noch zu tun.»

«Einteilung im vierten Gang war falsch»
10:18
Das Schwing-Duell:«Einteilung im vierten Gang war falsch»
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