Der 22. August 2010 war für viele Schwingsport-Freunde eine Art Sägemehl-Weihnacht. Damals avancierte ein gerade mal 20-jähriger Zimmermann-Stift namens Kilian Wenger am Eidgenössischen in Frauenfeld mit dem Sieg über den dreifachen König Jörg Abderhalden und der Thron-Eroberung zum Zwilchhosen-Heiland.
Der Modellathlet aus dem Diemtigtal veränderte das Image des einstigen Bauern-Sports komplett – wegen «Sexy-Kili» pilgerten plötzlich auch massenhaft junge Frauen zu den Plätzen am Sägemehlring, wo zuvor vor allem Stumpen qualmende Mannsbilder gesessen hatten. Und wegen Wenger investierten plötzlich die führenden Discounter und Banken einen grossen Teil des Werbe-Budgets in den Schwingsport.
Mehr zum Unspunnen
Die Experten waren sich seinerzeit einig, dass King Kilian die nächsten 15 Jahre auch sportlich dominieren wird. Doch das erwies sich auf nationaler Ebene als Trugschluss. Nach der Sternstunde in Frauenfeld spielte der Berner Oberländer nur noch einmal bei einem Wettkampf mit Eidgenössischem Charakter eine Hauptrolle – vor zwei Jahren wurde er im Kilchberger erst im Schlussgang von Samuel Giger gestoppt. Aber an den ESAF 2013 und 2016, sowie am Unspunnen 2011 war Wenger jeweils nach nur zwei Gängen aus dem Rennen.
Katastrophaler Start
Am Sonntag wollte es der mittlerweile 33-Jährige in Interlaken noch einmal allen zeigen. Doch sein Start kam einem königlichen Desaster gleich. Nachdem er beim Anschwingen in der ersten Minute gegen Armon Orlik getaucht war, kam der 108-fache Kranzgewinner gegen den Luzerner Nicht-Eidgenossen Samuel Schwyzer (8 Kränze), den Schaffhauser Mittelschwinger Jeremy Vollenweider und den Obwaldner Eidgenossen Jonas Burch (20 Kränze) jeweils nicht über einen Gestellten heraus. Das ernüchternde Endergebnis: Rang 15.
Woran liegt es, dass dieser hochtalentierte Schwinger nach seiner Krönung bei den ganz grossen Wettkämpfen nie mehr richtig in Schwung gekommen ist? Der legendäre Hasliberger Christian von Weissenfluh (58), 1993 selber Schlussgang-Teilnehmer am Unspunnen, packt eine besondere These aus: «Weil Kilian auch bei den Einteilungs-Komitees im Bernbiet enorm viele Sympathien geniesst, ist er bei vielen Wettkämpfen in seinem Teilverband oft zu leicht zu Festsiegen gekommen. Es ist mehrmals passiert, dass er mit einem einzigen Eidgenossen auf dem Notenblatt in den Schlussgang gekommen ist. Damit haben die Berner Einteiler diesem genialen Schwinger für die Eidgenössischen Ausmarchungen nichts Gutes getan, er hätte sich leichter getan, wenn er sich regelmässig mit den Top-Leuten hätte messen können.»
Welpenschutz als Nachteil?
Die Begründung: «Ein Matthias Sempach hat sich ab 2010 königlich entwickelt, weil er praktisch an jedem Wettkampf die stärksten Widersacher zugeteilt bekam. Sempach ist buchstäblich daran gewachsen, während sich Kilian durch den Welpenschutz nicht optimal entwickeln konnte.»
Zuletzt wurde Wenger aber auch immer wieder aus gesundheitlichen Gründen zurückgeworfen – auf dem Brünig musste er vor vier Wochen wegen einer Ellbogenverletzung Forfait erklären. Zudem wird der Papa einer Tochter und eines Buben seit Jahren von Rückenbeschwerden geplagt. Insider wären deshalb nicht überrascht, wenn Wenger in den nächsten Tagen seinen Rücktritt verkünden würde.