Interlaken, diese schmucke Kleinstadt, die vom Erscheinungsbild her mittlerweile einem Grenzort zwischen Vorderasien und dem Jungfraumassiv ähnelt, wechselt alle sechs Jahre sein Kleid. In den Pferdekutschen fahren zwar auch an diesem Wochenende die zahlungskräftigen Gäste aus dem arabischen Raum vom Gucci-Laden zum Rolex-Shop und zurück.
Aber auf der Wiese vor dem mondänen Hotel Victoria Jungfrau müssen die Touristen weichen. Die Edelweiss-Fraktion übernimmt das Zepter. Der Unspunnen-Schwinget, dieser geschichtsträchtigste Sportanlass der Schweiz, steht an. 200 Jahre gelebte Tradition. Im Stadion mit 16'000 Zuschauern.
Es ist ein Fest der Superlative. Auch in Abwesenheit von König Joel Wicki zeigt sich, wie ausgeglichen und breit die Spitze im Schwingsport derzeit ist. Gigantenduelle gibt es in Hülle und Fülle, auch ohne Wicki ist das Feld der Topleute, die das Potenzial für den ganz grossen Coup haben, gross.
Am Ende triumphiert mit Samuel Giger ein Mann, der seine PS endlich einmal ins Sägemehl bringt. Vom Talent und seinen athletischen Möglichkeiten her müsste Giger seit Jahren die dominierende Figur sein. Wo hapert's?
«Ich bin in den letzten zwei Wochen nie nervös geworden», sagt Giger nach dem Schlussgang. Das ist der Punkt. Wenn der Kopf bereit ist, dann ist der Modellathlet aus dem Thurgau kaum aufzuhalten. So wie bei diesem Unspunnen-Schwinget, das zu einer Machtdemonstration von Giger wird.
Das ist ein Versprechen für die Zukunft. Aber kein Garantieschein für eine «Ära Giger». Denn mit Reichmuth, mit Staudenmann, mit Walther oder auch Orlik und natürlich mit Wicki und dem aufstrebenden Werner Schlegel bleibt der Konkurrenzkampf so prickelnd wie zuletzt. Auch in Gigers Verfolgerfeld hat es Schwinger, die mit «befreitem» Kopf noch mehr durchstarten könnten.
Giger ist der Mann der Stunde. Aber das Schwingen ist an der Spitze so spannend wie noch nie. Und berücksichtigt man das Alter der Topleute, dann bleibt das auch noch einige Jahre so.