Vor 25 Jahren nahm sich Schwinger Jörg Schneider das Leben
«Vielleicht hat er sich zu viele Gedanken gemacht»

Am 29. März 1998 schied Jörg Schneider freiwillig aus dem Leben. Seine Freunde fragen sich auch heute noch, 25 Jahre später, wie es so weit kommen konnte.
Publiziert: 29.03.2023 um 00:36 Uhr
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Aktualisiert: 29.03.2023 um 11:28 Uhr
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Im ESAF 1992 stand Jörg Schneider (l.) im Schlussgang gegen Silvio Rüfenacht.
Foto: Blicksport
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Daniel LeuStv. Sportchef

Rolf Klarer kann sich noch daran erinnern, als ob es gestern gewesen wäre. «Wir waren mit dem Nordwestschweizer Schwingerverband in Willisau im Trainingslager. Am Samstag gingen wir ins Hallenbad. Dort haben wir nur Seich gemacht und wie kleine Kinder im Wasser gerungen. Jörg musste dann am Abend abreisen, weil seine Mutter Ida am Sonntag ihren 70. Geburtstag feierte. Bevor er ging, habe ich ihm noch tschüss gesagt. Da habe ich ihn zum letzten Mal gesehen.»

Einen Tag später, am 29. März 1998, war Jörg Schneider tot. Mit nur 37 Jahren nahm er sich das Leben. Die Frage nach dem Warum lässt seine Freunde auch heute noch, 25 Jahre danach, nicht los.

Schneider zählte einst zu den erfolgreichsten Schwingern des Landes. Beim ESAF 1977 in Basel gewann er, obwohl noch keine 16, seinen ersten von sechs eidgenössischen Kränzen. Er siegte viermal am Nordwestschweizerischen. Und er stand 1992 am Eidgenössischen in Olten im Schlussgang (Niederlage gegen Silvio Rüfenacht).

Sein bestes Training? Der Umbau seines Hauses

Heinrich «Heiri» Liechti war so etwas wie Schneiders Ziehvater. Als Jörg zwölf war, lernten sie sich im Schwingerverband Basel-Stadt kennen. «Jörg war schon immer ein stattlicher Bursche», erinnert sich der damalige Technische Leiter, «man hat sofort gesehen, dass in ihm ein grosses Potenzial schlummert. Er war ein richtiger Kämpfertyp.»

Später zog Schneider in die Ostschweiz. Er arbeitete als Zimmermann und Spengler und trainierte im Schwingklub Winterthur. Dort traf er auf Noldi Ehrensberger. «Jörg war ein bärenstarker Mensch», erzählt der Schwingerkönig von 1977, «man konnte gegen ihn fast nicht gewinnen. Er hätte Schwingerkönig werden können.»

Als Schneider nach einigen Jahren wieder ins Baselland zurückkehrte, entstand zwischen ihm und Schwingerkollege Rolf Klarer eine innige Freundschaft. Die zwei arbeiteten gar bei der gleichen Firma. Der vierfache Eidgenosse schwärmt noch heute von ihm: «Jörg war ein ganz feiner, lieber und korrekter Mensch und ein grossartiger Sportler. Er hat mir immer sehr imponiert. Wenn er etwas gemacht hat, dann immer zu 100 Prozent. Er war sehr überlegt und hat sich viele Gedanken gemacht. Vielleicht zu viele.»

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Klarer erinnert sich vor allem noch daran, wie Schneider beinahe alleine in Reinach sein Häuschen umgebaut hat. «Er hat den Keller von Hand ausgehoben. Nur mit einer Schaufel und einem Kessel. Er hat Kessel für Kessel den Dreck mit Manneskraft hochgezogen und ausgeleert. Dies sei für ihn das beste Training, hat er mir immer gesagt. Er war so ein starker Mensch, ein Berg von einem Menschen.»

«Das war seine freie Entscheidung»

Doch wie es in ihm innen wirklich aussah? Das wusste und ahnte wohl niemand. Auch nicht, dass sein Leben an jenem 29. März 1998 so tragisch enden würde. Klar ist, dass er irgendwann überstürzt das Geburtstagsfest seiner Mutter verliess und danach nie mehr zurückkehrte. «Im Schwingerverband gab es Jahre vorher mal einen Selbstmord. Ich sprach damals auch mit Jörg darüber. Er sagte mir, dass so etwas für ihn nie infrage käme», erzählt Klarer.

Die Frage nach dem Warum beschäftigt Klarer noch immer. Und auch die Selbstvorwürfe sind noch da. «Natürlich fragt man sich vor allem zu Beginn ständig, ob ich nicht etwas hätte merken müssen. Ich weiss bis heute nicht, was ihn so aus der Bahn geworfen hat. Doch das war seine freie Entscheidung. Die hat man zu akzeptieren, auch wenn es einem schwerfällt.»

An der Abdankungsfeier trug Klarer die Fahne des Schwingerverbands und Heiri Liechti hielt eine Rede. «Die Beerdigung war unglaublich schmerzhaft. Da gings mir richtig ans ‹Lebige›», erzählt der heute 81-jährige Liechti.

In den Jahren danach ging Liechti oft ans Grab von Jörg Schneider und sprach mit ihm. «‹Du bisch en dumme Bueb›, habe ich ihm auf dem Friedhof oft gesagt, obwohl ich ihn ja so mochte. Ich konnte einfach nicht verstehen, warum er das getan hat. Diese Frage lässt mich niemals mehr los.»

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