Pratteln, am 27. August 2022: Samuel Giger erlebt am ESAF den schwärzesten Samstag in seiner Schwingerlaufbahn. Die Bürde des meistgenannten Königs-Anwärters scheint den Thurgauer regelrecht zu erdrücken. Während er mit seinem Anschwing-Partner Fabian Staudenmann zusammengreift, beginnen die gigantischen Arme des 1.94-Meter-Mannes vor lauter Aufregung zu zittern. Giger bringt in diesem Duell keinen anständigen Zug zustande und beendet den Gang mit einem Gestellten. Wenige Stunden später verabschiedet er sich mit der Niederlage gegen den Aargauer Joel Strebel aus dem Kampf um die Krone.
Exakt ein Jahr später trifft der 25-Jährige mit den ergrauten Haaren in Interlaken erneut in einem kapitalen ersten Gang auf Fabian Staudenmann. Diesmal sind die Rollen aber vertauscht: Weil der «Fäbu» in dieser Saison sieben Kranzfeste gewonnen, und der «Sämi» heuer «nur» den Brünig, das Schaffhauser und das Glarner-Bündner für sich entschieden hat, ist der Berner der grosse Favorit.
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«Sonst wäre es extrem gefährlich geworden»
Giger wirkt deshalb wie befreit und fügt Staudenmann nach kurzer Gangdauer die erste Niederlage in dieser Saison zu. Der Lastwagen-Chauffeur aus Ottoberg TG ist ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zu bremsen. Er legt in der Folge die Berner Eidgenossen Dominik Gasser und Matthieu Burger, sowie die Freiburger-Überraschungsmänner Benjamin Gapany und Steven Moser aufs Kreuz.
Vor dem Schlussgang gegen Adrian Walther kommen beim 125 Kilo-Koloss aber noch einmal schmerzliche Erinnerungen auf – im Zweikampf mit dem Berner Mittelländer hat sich Giger im Vorjahr am Nordostschweizerischen den Nacken verstaucht. «Deshalb war mir diesmal klar, dass ich Adrian ja nicht ziehen lassen darf, weil es sonst extrem gefährlich für mich werden würde.»
Walther kommt im finalen Unspunnen-Gang tatsächlich nicht wirklich zum Zug - nach 1:20 Minuten liegt der letztjährige Brünig- und Berner Kantonalsieger auf dem Rücken, Giger bejubelt zwei Jahre nach dem Triumph am Kilchberger seinen zweiten Sieg an einem Eidgenössischen Anlass. «Diesmal ist wirklich alles perfekt für mich gelaufen, ich war den ganzen Tag nie nervös».
Als Giger seinen Bruder anpumpte
Giger hat in der geschichtsträchtigen Unspunnen-Arena genauso unbeschwert agiert wie am 24. März 2014, als Giger am Rheintaler-Oberländer kurz vor seinem 16. Geburtstag seinen ersten grossen Auftritt im Reich der Bösen hatte. Damals wirbelte er im Schlussgang den sonst so standhaften Urban Götte (zweifacher Rigi-Sieger) durch die Luft.
In Bedrängnis kam Samuel erst bei der anschliessenden Feier, als er seinen Verbands-Kollegen die obligate Sieger-Runde bezahlen sollte. «Weil ich vor diesem Wettkampf nicht im Traum an den Sieg dachte, hatte ich natürlich nicht so viel Geld im Sack und musste meinen älteren Bruder anpumpen.»
«Dann wird er auch Schwingerkönig»
Zwei Jahre später sorgte Giger für Furore, weil er nach dem ersten Schwägalp-Sieg und dem zweiten Rang am Eidgenössische in Estavayer ein mit über 100'000 Franken dotierten Sponsoring-Vertrag eines grossen Käse-Herstellers ausgeschlagen hat. «Solange ich in der Berufslehre als Zimmermann bin, mache ich keine Werbung», hielt Giger fest. Seither verdient der 30-fache Kranzfestsieger ordentlich Geld als Werbeträger eines Deutschen Discounters.
Die Millionengrenze dürfte Giger aber erst dann knacken, wenn er in zwei Jahren in Mollis auch noch die Königs-Krone gewinnen würde. «Wenn Samuel 2025 im Glarnerland so schwingt, wie in Interlaken, wird er auch Schwingerkönig werden», ist Nöldi Forrer (König 2001) überzeugt.
Eines ist aber auch klar: Beim Eidgenössischen Kräftemessen im eigenen Teilverband wird ein noch grösserer Druck als in Pratteln auf dem Nordostschweizer König ohne Krone lasten. Ob Giger damit wird umgehen können, bleibt abzuwarten.