«In der Stadt kommen die Fans eher nach dem Brunch»
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Schwinger erobern am Zürcher Kantonalen die Stadt
«So viele Lichtsignale und Trams – das bin ich mir nicht gewohnt»

In der Stadt Zürich prallten am Sonntag Welten aufeinander. Hipster-Hochburg trifft auf Hoselupf und Hüfter. Aber haben sich am Zürcher Kantonalschwingfest diese Szenen tatsächlich vermischt? Blick hat sich umgeschaut.
Publiziert: 14.05.2023 um 20:06 Uhr
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Aktualisiert: 15.05.2023 um 13:40 Uhr
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Direkt neben dem Sihlcity auf Stadtzürcher Boden fand am Sonntag das Zürcher Kantonalschwingfest statt.
Foto: STEFAN BOHRER
Nina Köpfer

Es ist Sonntagmorgen um 8 Uhr, das Thermometer zeigt kühle 9 Grad, es regnet leicht. Nichts deutet am Zürcher Hauptbahnhof darauf hin, dass nur drei S-Bahn-Stationen entfernt das Zürcher Kantonale stattfindet – die Schwinger kommen in die Stadt. Am HB sind gehetzte Touristen mit riesigen Koffern und gemütliche Wandergruppen unterwegs. Von Älplern keine Spur.

Erst an der Haltestelle Saalsporthalle fällt dem aufmerksamen Beobachter hier und da das unverkennbare Hellblau der Edelweiss-Hemden auf. Beim Festplatz auf der Allmend Brunau angekommen, fühlt sich der erfahrene Schwingfestgänger schon wohler. Der Duft von Bratwürsten und Kafi Lutz liegt in der Luft. Zwilchhosen und Wanderschuhe verdrängen Skinny-Jeans und weisse Sneakers. 

Dabei wäre eine Durchmischung von Stadt und Land eigentlich nicht erstaunlich. Zumindest aus historischer Sicht. Christian Koller, der sich an der Universität Zürich unter anderem mit der Sportgeschichte der Schweiz befasst, sagt: «Das moderne Schwingen hat auch städtische Vorläufer. Die akademische Turnerbewegung im 19. Jahrhundert zum Beispiel war ein grosser Einfluss.» Gründungsorte des Nationalen Schwingerverbandes sind die Städte Bern und Zürich. 

Neugierige Stadtzürcher

An diesem Sonntag hat das Schwingen jedenfalls wieder seinen Weg in die Stadt gefunden. Auf der Allmend Brunau geht es um halb neun Uhr morgens schon zu und her wie in einem Bienenstock. Die ersten hungrigen Bäuche werden mit Bratwürsten und Kafi mit Güx gefüllt, während die starken Männer in den fünf Sägemehlringen zum Anschwingen antreten. Es läuft wie gewohnt – mit einer Ausnahme.

Während bei den altehrwürdigen Schwingfesten wie Brünig und Rigi die Zuschauer von frühmorgens bis nach dem Schlussgang auf ihren Plätzen sitzen, nehmen es die Zürcher Schwingfans etwas lockerer. Die Tribüne füllt sich erst nach und nach. Unter den vielen routinierten Schwingfestbesuchern trifft man am Zürcher Kantonalen auch auf Neulinge. Eine junge Familie aus der Nachbarschaft kauft sich spontan Tickets, nachdem sie am Morgen von Alphörnern geweckt und neugierig worden sind.

Der Kampf um Aufmerksamkeit

Kaum Zeit, das sportliche Geschehen zu beobachten, hat Alex Kleinberger (45), aktiver Schwinger im Schwingklub Zürich, hauptberuflich Filmemacher. Erst seit zehn Jahren schwingt er, und doch brennt er für diesen Sport. «Hier geht es um Fairness, um Kameradschaft, um Bodenständigkeit. Das findest du im Fussballklub so nicht», sagt der Familienvater, der selbst lange Zeit gekickt hat. Er würde sich wünschen, dass mehr Städter den Schwingsport entdecken.

In Zürich sei das aber einfacher gesagt als getan. «Würde das Kantonale auf dem Land stattfinden, hätten wir einfach an jeder Landstrasse ein Werbeplakat aufgemacht. In der Stadt Zürich sind wir ein Anlass unter Hunderten. Hier sichtbar zu werben, wäre viel zu teuer.» 

Auch Vegetarier sind willkommen

Unterdessen brutzeln an den Verpflegungsständen Hunderte Cervelats und Bratwürste munter vor sich hin. Im Küchenzelt herrscht Hochbetrieb. Zur Mittagspause müssen am Bankett innert kürzester Zeit fast tausend hungrige Mäuler gestopft werden. In den Töpfen von Gastro-Chef Stephan Schaub schmort ein Geschnetzeltes, dazu gibt es Spätzli und Gemüse. 

Und wo ist die fleischlose Option? Immerhin wird Zürich in manchen Kreisen als vegane Hauptstadt der Schweiz bezeichnet. «Als Alternative bieten wir ein pflanzliches Geschnetzeltes an, das ist vegan. Bei den Eierspätzli wirds wohl schwierig. Aber Gemüse könnte man dazu servieren.» Die Nachfrage nach einem veganen Menu ist aber auch am Schwingfest in der Stadt Zürich sehr klein. «Von den tausend Vorbestellungen fürs Bankett sind bloss drei Portionen vegetarisch», erzählt der Gastrochef. Egal ob das Schwingfest in Zürich oder im Berner Oberland stattfindet – gegessen wird also überall gleich. 

Schwingen bleibt Schwingen

Schwingen in der Stadt ist auch für die Schwinger selbst kein Grund zur Aufregung, Sägemehl ist Sägemehl. Lediglich die Anfahrt sei nicht ganz einfach gewesen, sagt der Thurgauer Domenic Schneider (28) bei Tele Züri: «Es war schon speziell, als Landei durch die grosse Stadt zu fahren. Wir hatten ein bisschen Mühe. So viele Lichtsignale und Trams – das bin ich mir nicht gewohnt. Hier auf dem Festgelände ist jetzt aber alles wie immer.»

Alles wie immer – so siehts auch bei den Sponsoren aus. Banken, Tabakkonzern, Versicherungen. Nicht überall ist die immer grösser werdende Präsenz der Sponsoren gern gesehen. Doch ist die Angst begründet, dass dieser urchige Traditionssport dem Geld zum Opfer fällt? Wohl kaum, beruhigt Sporthistoriker Koller. Die totale Kommerzialisierung des Schwingens, wie sie im Fussball der Fall ist, sei kein realistisches Szenario. «Beim Schwingen gibt es für den Besten immer noch einen Muni und keine Million. Wenn einer richtig was drauf hat, wird er Schwingerkönig und macht Werbedeals. Mehr liegt nicht drin. Wäre er Fussballer, würde er im Ausland Millionen kassieren.» Und das ist und bleibt beim Nationalsport Schwingen schlicht ein Ding der Unmöglichkeit. Egal ob in der Stadt oder auf dem Land.

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