Auf der Sportanlage Ehret in Hünenberg ZG erinnert ausser der warmen Sommersonne herzlich wenig an Jamaika. Wenn da nicht der Kultfilm «Cool Runnings» wäre.
Es ist eine der legendären Szenen im Streifen über das Bob-Team aus Jamaika, als deren Trainer gefragt wird: «Sie sprinten schnell. Aber sprinten sie auch auf Eis schnell?» Natürlich wird im Film der erste Auftritt auf Eis zum Desaster.
Dieselbe «jamaikanische» Frage stellt BLICK auch in Hünenberg. Sie geht an Bob-Pilot Timo Rohner (22) und Kranz-Schwinger Noe van Messel (18), die auf der Tartanbahn einen Trainingsschlitten anschieben: Bringt Hüne van Messel auch auf Eis den Bob derart explosiv und dynamisch in Fahrt, wie er es bei 26 Grad im Sommertraining tut?
Eis statt Sägemehl
Er war die Schwinger-Sensation, als er 2019 auf dem Stoos hinter den Topshots Joel Wicki und Pirmin Reichmuth als erst 17-Jähriger seinen ersten Berg-Kranz holt. Zur Eis-Frage sagt er schmunzelnd: «Das werden wir sehen. Wegen der Nagelschuhe bin ich aber zuversichtlich, dass es auf Eis nicht viel anders sein wird als auf der Tartanbahn. Ich mache mir mehr Sorgen ums Einsteigen in den Bob.»
Aber Rohner beschwichtigt: «Wir werden uns Schritt für Schritt herantasten. Das kommt gut.» Der Zuger Bob-Pilot ist überzeugt, dass er mit van Messel einen Anschieber-Rohdiamanten für seine Rohner Bulls entdeckt hat.
Auf den Schwinger mit holländischen Wurzeln wartet jetzt ein Winter im Team des Viererbob-Schweizer Meisters, Einsätze im Europa- und Weltcup sowie an der Junioren-WM in St. Moritz.
Sorgen bei Van Messels Mutter
Im Schwingklub Ägerital hat man nichts gegen das Abenteuer des Youngsters. Van Messel: «Ich habe bisher von allen Seiten nur positive Reaktionen erhalten. Nur meine Mutter sorgt sich etwas.»
Der Grund: Die Familie kennt den früheren Anschieber Thomas Krieg (33) persönlich, der seit einem schweren Bob-Unfall querschnittgelähmt ist. Doch Noe sagt: «Risiko gehört zum Spitzensport. Auch Schwingen ist nicht ungefährlich.»
Oft sind es sprintstarke Leichtathleten, die den Quereinstieg in den Bobsport wagen. Doch wie erkennt man, dass ein Schwinger mit den beeindruckenden Massen 1,90 Meter und 118 kg das Zeug zum Anschieber hat?
Wie einst Martin Annen
Es passiert letztes Jahr an der Gewerbeausstellung in Unterägeri ZG. Vater und Sohn Rohner – Marcel (56) ist mit seinem Olympia-Silber von 1998 eine Schweizer Bob-Legende – lassen jedermann und jedefrau auf ihrer mobilen Anstossbahn die Kräfte messen.
Van Messel ist wegen des Messestands seines Schwingklubs vor Ort und kommt mit Kollegen beim Bob vorbei. Er sagt: «Mich packte der Ehrgeiz, ich wollte es ausprobieren.»
Der Versuch beeindruckt die Rohners so sehr, dass sie van Messel engagieren wollen. Marcel Rohner hat schon den späteren Weltklasse-Pilot Martin Annen (46) vom Schwingen zum Bob gebracht – und schafft es nun fast 30 Jahre danach fürs Team seines Sohnes auch bei van Messel.
Van Messel lebt jetzt 12 Monate als Sport-Profi
Mit einem Unterschied: Im Gegensatz zu Annen gibt der Zuger die Schwingkarriere nicht auf. Van Messel: «Schwingen hat weiter Priorität. Aber dieses Jahr gibts ja keine Feste. Deshalb kam mir jetzt die Chance, bei Timo das Bob-Projekt zu starten, gerade recht. Wir werden sehen, wohin es führt. Ich bin aber sicher, dass ich vom Bob-Training auch im Schwingen profitieren kann, und bin neugierig, was mich erwartet.»
Man spürt: Das jüngste Bulls-Mitglied brennt darauf, ausserhalb des Sägemehls in einen neuen Sport einzutauchen, der auch viele Auslandreisen beinhaltet.
Da er diesen Sommer die Matur abgeschlossen hat und vor dem geplanten BWL-Studium ein Zwischenjahr einlegt, lebt van Messel jetzt zwölf Monate als Sport-Profi. Der einzige weltweit, der Bob und Schwingen vereint!