Mit einer Körpergrösse von 194 Zentimetern ist er nicht zu übersehen: Samuel Giger (25) betritt das Restaurant Stelzenhof auf dem Ottenberg in Weinfelden TG, begrüsst das Personal, setzt sich ins «Buurestübli» und bestellt einen Kaffee. Man kennt den Schwinger hier. Und dies nicht erst seit seinem Unspunnen-Sieg im vergangenen August. «Mit dem Kellner ging ich drei Jahre lang in die Schule», erklärt Giger.
So dominant der Thurgauer im Sägemehl ist, so zurückhaltend tritt er neben dem Platz auf. Dies zeigt sich nicht nur im Gespräch mit der GlücksPost – er wählt seine Worte mit Bedacht –, sondern auch im anschliessenden Schwingtraining. Während seine Kollegen vom Schwing-Club am Ottenberg Sprüche klopfen, bleibt Giger ruhig und besonnen. Er hat gelernt, mit der Aufmerksamkeit um seine Person umzugehen. «Seit dem Sieg am Unspunnen ist die Bekanntheit noch grösser geworden, ich werde vermehrt auf der Strasse angesprochen», sagt er. Der Erfolg gebe ihm eine innere Zufriedenheit. «Ich bin aber nach wie vor hungrig und möchte noch viele Siege feiern», hält er fest.
Dieser Artikel wurde erstmals in der «Glückspost» veröffentlicht. Mehr aus der Welt der Schweizer Prominenz, Royals und Sportstars erfährst du immer montags in unserem Gratis-Newsletter! Zur Anmeldung
Dieser Artikel wurde erstmals in der «Glückspost» veröffentlicht. Mehr aus der Welt der Schweizer Prominenz, Royals und Sportstars erfährst du immer montags in unserem Gratis-Newsletter! Zur Anmeldung
Viermal pro Woche Training
Samuel Giger ist seit Jahren eine der dominierenden Figuren der Schwingszene. Bereits mit 17 gewann er sein erstes Kantonalschwingfest, ein Jahr später holte er in Estavayer-le-Lac FR seinen ersten eidgenössischen Kranz. Am ESAF 2019 in Zug und 2022 in Pratteln galt er als Königsanwärter, den Sieg holten aber andere.
Nach diesen Enttäuschungen reagierte Giger. Er reduzierte sein Pensum als Lastwagen-Chauffeur auf 40 Prozent und wechselte im letzten Jahr die Trainer. Im mentalen Bereich arbeitet er mit dem früheren Handballtrainer Adrian Brüngger zusammen. Auch sein Fitnesscoach kommt vom Handball: Goran Cvetkovic, Trainer von Pfadi Winterthur. Im Winter macht er viermal pro Woche Athletiktraining, genauso oft ist er im Schwingkeller anzutreffen. «Und am Wochenende sind Skifahren und lockeres Training angesagt», sagt er. Während der Saison absolviert er weniger Trainingseinheiten.
Im Schwing-Club am Ottenberg trainieren nebst Samuel Giger auch die Brüder Domenic (29) und Mario Schneider (32), die ebenfalls zur Spitze gehören. Wie wichtig sind starke Vereinskollegen? «Sehr wichtig. Man braucht auch im Training starke Gegner, die einen fordern. Nur so kann man sich verbessern. Der Zusammenhalt stimmt auch neben dem Platz.»
Hardrock vor den Gängen
Anfang Februar ist Samuel Giger beim Lichtmess-Schwinget in Gais AR in die Saison gestartet – und dies gleich mit einem Sieg. Auch sein zweites Fest vergangenen Sonntag in Niederurnen GL gewann er. Als erstes Kranzfest absolviert er am 5. Mai das Thurgauer Kantonale in Ermatingen. Hat er denn vor seinen Gängen ein Ritual? «Als eigentliches Ritual würde ich das nicht bezeichnen. Ich wärme mich auf, fokussiere mich, gehe zum Brunnen und dann in den Ring. Und um die Geräuschkulisse besser ausblenden zu können, höre ich Hardrock.»
Privat hört er eher Pop-Rock oder Volksmusik. «Aber um mich an den Schwingfesten in den Wettkampfmodus zu bringen, brauche ich härteres», sagt er und lacht. Genau diese Härte, der Fokus und das harte Training führten dazu, dass Giger letzten Sommer seinen bislang grössten Erfolg jubeln durfte. Zwar gewann er 2021 auch den Kilchberger Schwinget, musste den Sieg damals aber mit Fabian Staudenmann (23) und Damian Ott (24) teilen.
Halt findet der Hüne zu Hause in Märstetten TG bei seiner Partnerin Michelle von Weissenfluh (25), die aus Hasliberg BE stammt. Seit rund einem Jahr wohnt er mit der medizinischen Praxisassistentin zusammen. Sie hält ihrem Partner den Rücken frei und kümmert sich ums Administrative. Kennengelernt haben sich die beiden vor fünf Jahren am Schwägalp-Schwinget. Giger gewann das Bergkranzfest, Michelle begleitete ihren Bruder, den Eidgenossen Kilian von Weissenfluh (27).
Auch Giger hat Berner Wurzeln, sein Grossvater stammt aus dem Haslital. Droht den Nordostschweizer Schwingfans, ihr Aushängeschild an die Berner zu verlieren? «Solange ich schwinge, bleibe ich im Thurgau», sagt Giger, der bereits ein paar Mal gegen seinen Schwager in spe antreten musste. «Es ist schon speziell, gegen Kilian zu schwingen. Aber sobald ich auf dem Platz stehe, ist er ein Gegner wie jeder andere auch.» Aufs Nachhaken fügt er an: «Ja, meine Bilanz gegen ihn ist positiv.»
Wenn Samuel Giger über Michelle spricht, leuchten seine Augen. In einem Interview schwärmt er: «Mit ihr kann ich das Schwingen auch mal vergessen. Wir gehen Ski fahren, wandern oder jassen mit Freunden.» Sie beschreibt ihn als «ausgeglichen und besonnen». Wie stellt er sich die gemeinsame Zukunft vor? «Mein Traum ist, mit Michelle eine Familie zu gründen und in einem schönen Eigenheim mit Umschwung im Grünen zu leben.» Ob das im Thurgau oder im Haslital sein wird, lässt er offen. «Es ist an beiden Orten schön.»
Nur ein Titel fehlt noch
Gigers Vater Emil ist aus dem Appenzell, Samuel ist dort geboren. Der diesjährige Saisonhöhepunkt, das 125-Jahre-Jubiläum des Eidgenössischen Schwingerverbandes (ESV) am 8. September, findet in Appenzell statt. Für Giger etwas Spezielles? «Eigentlich nicht. Es ist auf Innerrhoder Boden, und ich habe Ausserrhoder Wurzeln», sagt er mit einem Schmunzeln. Deshalb sei das Jubiläumsschwingfest nur aus rein sportlicher Sicht etwas Spezielles.
Angesprochen auf das ESAF 2025 in Mollis GL, meint er: «Es ist im Hinterkopf, ich plane von Saison zu Saison. Dieses Jahr ist Appenzell das Ziel, im nächsten Jahr Mollis.» Aber ein Eidgenössisches im eigenen Teilverband sei schon etwas Besonderes.
Giger ist bescheiden und stapelt tief. Doch sein Palmarès ist eindrücklich: Mit erst 25 Jahren hat er bereits drei Eidgenössische, 29 Kantonale, 17 Berg- und elf Teilverbandskränze gewonnen, hat an 30 Kranzfesten und zwei eidgenössischen Anlässen gesiegt und an allen Berg- und Teilverbandsfesten einen Kranz geholt.
Das Einzige, was ihm zum ganz grossen Triumph noch fehlt, ist der Königstitel. Dann wäre er nach Jörg Abderhalden (44) und Christian Stucki (39) der dritte Athlet, der den sogenannten «Schwinger-Grand-Slam» – Siege am Unspunnen, am Kilchberger und am Eidgenössischen – erreicht hat. «Natürlich ist der Königstitel mein Ziel», sagt Giger und ergänzt: «Wenn ich den nicht anstreben würde, könnte ich ja aufhören.»