Am End der Welt treffen sie alle aufeinander: aufstrebende Fussballtalente, gestählte Kunstturnerinnen – und muskelbepackte Schwingerkönige. Das End der Welt befindet sich in diesem Fall in Magglingen BE, hoch über dem Bielersee. In der Galerie der grossen Turnhalle strampeln die Bösen in Reih und Glied. Von Joel Wicki (27), dem König aus dem Entlebuch, über den Berner Unspunnen-Schlussgangteilnehmer Adrian Walther (22) bis hin zu Damian Ott (24), dem Toggenburger Kilchberg-Sieger.
Etwa ein Dutzend absoluter Spitzenschwinger ist es, das beim Besuch von Blick oben in Magglingen den Wiederholungskurs der Armee, kurz WK, absolvieren. Auf dem Hometrainer wärmen sich die Sportler für das Krafttraining auf, unter den wachsamen Augen von Schwingerkönig Matthias Glarner. Er ist in Magglingen sozusagen oberster Schwingchef. Stehen die WK an, verbringt der Berner mehrere Wochen am Stück in Magglingen und sorgt dafür, dass die Schwinger so viel wie möglich profitieren.
Keine Zeit für Larifari
Wobei – ganz so wachsam muss er jetzt, beim Aufwärmen und auch später beim Krafttraining, noch nicht sein. «Die Schwinger kommen hier allesamt mit ihrem eigenen Plan fürs Krafttraining an. Ich helfe höchstens mal bei einer Übung aus oder gebe einen Input.» Ein einheitliches Training wäre bei den Spitzenschwingern mit all ihren unterschiedlichen Bedürfnissen und Schwerpunkten fehl am Platz. Glarners Fokus liegt klar auf dem Training im Sägemehl.
Mehr aus dem Sägemehl:
Oben in der Galerie beenden die Schwinger die Einheit auf dem Velo. Die Stimmung ist locker, es wird gescherzt und gelacht. Muss Glarner da nicht auch mal für Ordnung und Disziplin sorgen? Der ehemalige Spitzenschwinger verneint. «Während der Saison sind das hier ja alles Konkurrenten. Da will keiner im Training rumblödeln, während seine Gegner nebenan schuften, was das Zeug hält.»
Das Privileg Magglingen
Und tatsächlich. Nach einigen Dehnübungen verteilen sich die Schwinger im Raum und beginnen mit ihren individuellen Trainingsplänen. König Joel Wicki und sein Innerschweizer Verbandskollege Joel Ambühl (26) richten sich bei den Gewichten ein. Während Ambühl die Langhantel mit etlichen farbigen Gewichtsscheiben zu beiden Seiten in die Luft stemmt, feuert ihn Wicki an. «Chum iz, no eine!» Der Entlebucher hat 2016 bereits die RS in Magglingen als Spitzensportrekrut absolviert, seither kehrt er immer wieder hierhin zurück.
Für den König ist der WK in Magglingen ein Privileg. «Wir haben hier super Infrastruktur, und im Vergleich zum Training zu Hause kannst du dich hier wirklich eine Woche lang voll fokussieren.» Wicki würde nicht mehr darauf verzichten wollen. Auch wenn einige wenige Bösen, wie etwa Unspunnen-Sieger Samuel Giger (26) die Spitzensportförderung aus persönlicher Überzeugung boykottieren. Es sei nicht im Sinne des familiären Schwingsports, wenn sich die Besten der Szene auf Kosten der Armee noch zusätzlich verbessern können, so seine Meinung.
Joel Wicki zeigt Verständnis für diese Einstellung. Betont jedoch, dass die intensiven Trainingswochen auch Nachteile mit sich bringen können. Etwa für Schwinger, die sich eine so hohe Trainingsbelastung nicht gewohnt sind. Ihm persönlich bereiten die Spitzensport-Wiederholungskurse ein ganz anderes Problem: Als eigenständiger Landwirt ist es nicht ganz einfach, eben mal eine Woche lang nach Magglingen zu entschwinden.
Wicki muss sich auf andere verlassen
«Ich bin froh, wenn ich nach einer Woche wieder auf den Betrieb zurück und meine Partnerin ablösen kann. Sie hält alles am Laufen, während ich weg bin. Und arbeitet dazu noch zu 80 Prozent in der Pflege.» Und ausserdem brauche er den Ausgleich, die Arbeit mit den Händen, draussen zu sein. Wochenlang in Magglingen zu trainieren wäre nichts für ihn.
Auf die Frage, wie militärisch es im Spitzensport-WK denn nun wirklich zugehe, schmunzeln viele der Schwinger. Und Wicki sagt stellvertretend für wohl die meisten: «Am ehesten merkt man es, wenn man einrückt und nach einer Woche wieder nach Hause fährt. Dann muss das Tenue stimmen. Aber ansonsten? Fühlt es sich eher wie ein Trainingslager an.» Er sei froh, könne er seine Wehrpflicht so erfüllen, und nicht mit Märschen und Schiessübungen. Auch das Essen, da sind sich alle sicher, sei in Magglingen wahrscheinlich um einiges besser als in so mancher Truppenküche.
500 Quadratmeter Sägemehl
Während die anderen Schwinger sich in den Mittag verabschieden, nimmt Joel Wicki Blick noch kurz in das Herzstück des Schwingtrainings mit. Im Untergeschoss der 2022 eingeweihten Ausbildungshalle befindet sich ein 500 Quadratmeter grosser Schwingkeller. Wobei von Keller keine Rede sein kann, die Halle ist dank grosser Fenster lichtdurchflutet und so geräumig, dass der 62-fache Kranzgewinner in der Mitte des Sägemehls fast schon verloren wirkt.
Hier holt sich König Wicki mit der Hilfe von König Glarner den letzten Schliff für die anstehende Saison. Er fühle sich gut, die Ellbogenverletzung vom vergangenen Sommer sei perfekt auskuriert – nur ein paar Kilos möchte er gerne noch zulegen. Dennoch zeigt der König einen Saisonstart nach Mass. Am Samstag triumphiert er zum vierten Mal beim Surenthaler Frühjahrsschwinget in Sursee LU. Fünf der sechs Gänge gewinnt Wicki, einzig gegen Joel Ambühl im vierten Gang kommt er nicht über einen Gestellten hinaus. Im Schlussgang bezwingt er Reto Kaufmann (22).