Der gigantische Schwinger-Boom hat lange vor dem Lötschberg haltgemacht. Viele Oberwalliser haben sich immer wieder mit demselben Spruch über die «Bösen» lustig gemacht: «Bei uns kämpfen die Kühe – und die Bauern schauen zu. In der Ausserschweiz schauen die Kühe zu, während die Bauern kämpfen.»
Der Kuhkampf im Wilden Westen der Eidgenossenschaft ist heilig wie das Kruzifix. Der Schwingsport eine Nebenerscheinung. Deshalb hat bis dato auch erst ein Oberwalliser den Kranz an einem ESAF gewonnen – Albert Pollinger aus St. Niklaus erkämpfte sich das eidgenössische Eichenlaub 1961 in Zug. Pollingers Sohn Ruedi steht auch am Anfang der neuen Schwinger-Bewegung im Rhonetal. Er hat im Sommer 2015 mit dem dreifachen König Jörg Abderhalden das Matterhorn bestiegen.
Der Pfarrer segnete den Schwingkeller
Während dem Aufstieg in eisige Höhen diskutierten sie auch, wie der Schwingsport in dieser Region belebt werden könnte. Der Überschwinger aus dem Toggenburg war von Anfang an überzeugt, dass sich sein Sport trotz des übermächtig anmutenden Kuhkampfs auch hier durchsetzen würde. Abderhalden organisierte deshalb im Sommer 2016 zusammen mit Pollinger Junior den Gornergrat-Schwinget, in dem der spätere König Matthias Glarner gegen die Stärksten der Südwestschweiz in den Ring stieg.
Mehr zum Schwingen
Die Resonanz auf diesen Demonstrations-Wettkampf war derart gut, dass danach der Schwingklub Oberwallis gegründet wurde. Im Januar 2017 segnete Pfarrer Pascal Venetz in Visp den neuen Schwingkeller ein. Mittlerweile trainieren in dieser Sägemehl-Kathedrale 19 Aktiv- und 18 Jungschwinger.
Der Schleifer aus Ostdeutschland
Pikant: Der Walliser Schwinger-Nachwuchs wird von einem ehemaligen Ringer aus Ostdeutschland trainiert. Sein Name: Mario Stübe (41). Der Mecklenburger, welcher 1996 deutscher Jugendmeister in der Sparte Griechisch-Römisch wurde, übersiedelte 2007 aus beruflichen Gründen in die Schweiz. Stübe mutierte vom Ringer zum Schwinger, am Südwestschweizerischen 2017 konnte er drei von sechs Gängen gewinnen.
In der Zwischenzeit sind dem gelernten Metzger und Dachdecker die ersten erfolgreichen Würfe als technischer Leiter geglückt. Seine Schützlinge Ramon Schmidt und Giulio Amstutz haben in diesem Jahr in der Südwestschweiz schon mehrere Jungschwingertage für sich entschieden und sogar ihre Jahrgänger in der Urschweiz dominiert. Im April kam es am Urner Rangschwinget in Erstfeld dank Schmidt und Amstutz zu einem reinen Walliser Schlussgang bei den Zehn- bis Elfjährigen, in dem Schmidt triumphierte.
Top-Zuzug aus dem Urnerland
Historisches gibt es aber auch von den Aktiven zu berichten. Andy Murer eroberte im Mai mit dem vierten Rang am Waadtländer Kantonalen den ersten Kranz für den Schwingklub Oberwallis! Der in Seedorf aufgewachsene Murer hat bis im letzten Jahr für den Urner Kantonalverband gekämpft, durch die Heirat mit einer Walliserin ist der Turnerschwinger nach Baltschieder in den Bezirk Visp gezügelt.
«Andys Umzug vom Urnerland ins Wallis ist für die Schwingerei in unserer Region ein reiner Segen», frohlockt Ruedi Pollinger. «Durch Andy haben unsere Aktiven den langersehnten Gradmesser erhalten. Und weil sie in den Trainings immer besser mit ihm mithalten können, wird auch ihr Selbstvertrauen immer stärker. Ich glaube deshalb daran, dass wir bereits im nächsten Jahr neben Andy weitere Kranzer herausbringen werden.»
Möglich, dass Murer für die Walliser am Sonntag die Auszeichnung ergattert, welche Ruedi Pollinger zweimal um einen Viertelpunkt verpasst hat – den prestigeträchtigen Schwarzsee-Kranz. Sein Vater Albert Pollinger war 1962 der letzte Walliser, der ihn gewann.