Blick: Christian Stucki, müssen wir uns Sorgen um Ihre Gesundheit machen?
Christian Stucki: Nein, warum?
Gemäss Ihrem Trainer haben Sie innerhalb kurzer Zeit ordentlich Gewicht verloren!
Ich habe die Ernährung umgestellt, nachdem ich Ende letzten Jahres einen Unverträglichkeitstest gemacht hatte. Der Test fiel ziemlich frappierend aus. Gluten, Milchprodukte und diverse Gemüse durfte ich für längere Zeit nicht mehr konsumieren. Ich habe meinen Menüplan entsprechend angepasst. Mit der Quintessenz, dass das Gewicht ordentlich hinunterging, was ich zum Ende meiner Schwingerkarriere als sehr positiven Nebeneffekt betrachte.
Wie schwer ist Ihnen die Umstellung gefallen?
Zu Beginn war die Diagnose des Unverträglichkeitstests für mich ein ziemlicher Schock. Aber ich habe darin relativ schnell eine grosse Chance für meinen weiteren Lebensweg erkannt. Zudem wurde mir bewusst, dass ich ja nicht für immer mit diesen Einschränkungen leben muss. Ich habe drei Monate lang konsequent darauf geachtet, dass ich statt klassischer Nudeln eine Pasta aus Linsen oder Kichererbsen zu mir nahm. Auch die Avocado spielte in den letzten Monaten auf meinem Speiseplan eine zentrale Rolle. Dadurch hat sich mein Darm so gut erholt, dass ich mir in der Zwischenzeit auch wieder eine echte Portion Spaghetti gönnen darf. Aber eben nur einen Teller Spaghetti – und nicht wie vorher zwei riesige «Fueder».
Hätten Sie diese Kur im letzten Winter auch gemacht, wenn Sie noch eine komplette Saison als Schwinger vor sich gehabt hätten?
Sehr wahrscheinlich nicht. Ich habe den Test zu einem Zeitpunkt gemacht, als ich wusste, dass ich nur noch ein Schwingfest bestreiten werde. Für eine komplette Wettkampfsaison wäre die Energiezufuhr mit diesem Menüplan ziemlich sicher zu kurz gekommen.
Haben Sie trotzdem genügend Energie für Ihre Abschiedsvorstellung am Berner Seeländischen in Ihrer Wohngemeinde Lyss?
Davon bin ich überzeugt. Zumal ich bezüglich der Einstellung ähnlich an diesen Wettkampf herangehe, wie es Beat Feuz bei seiner letzten Abfahrt in Kitzbühel tat. Ich will wie der Kugelblitz noch einmal eine gute Falle machen, sprich: den Kranz gewinnen. Aber im Kampf um den Festsieg werde ich nicht mehr voll ans Limit gehen, ich möchte meine Abschiedsvorstellung auch noch ein bisschen geniessen.
Was überwiegt: Wehmut oder Vorfreude?
Es ist 50 zu 50. Ich bin natürlich etwas wehmütig, weil ich weiss, dass ich einige Dinge aus meiner Aktivzeit als Schwinger vermissen werde. Gleichzeitig freue ich mich riesig, dass ich mein Leben nicht mehr nach harten Trainingseinheiten ausrichten muss. In den letzten Jahren musste ich am Abend oft viel zu früh ins Bett, weil ich am folgenden Morgen meinen Mann im Kraftraum oder im Sägemehlring stellen musste. In Zukunft kann ich viel freier leben.
Was werden Sie nach Ihrem letzten Wettkampf ganz sicher nie mehr tun?
Sicher nicht mehr mit 240 Kilo auf der Hantel Kniebeugen machen. Und am brutal anstrengenden Seilzug meines Trainers Tommy Herzog werde ich ganz sicher auch nie mehr herumrupfen.
Gemäss Marketing-Experten ist die Schwingerkönigskrone 500'000 und die Siege am Unspunnen und am Kilchberg je 300'000 Franken wert. Weil Sie alle grossen Schwinger-Titel gewonnen haben, müssten Sie Millionär sein! Stimmts?
Ich habe sicher nicht auf einen «Chlapf» so viel Geld verdient. Aber wenn ich alles zusammenrechnen würde, käme ich der Million wahrscheinlich schon sehr nahe. Ich habe während 14 Jahren Partnerschaften mit Sponsoren gepflegt. Wenn ich in dieser Zeit nicht einen schönen Batzen verdient hätte, hätte ich etwas falsch gemacht. Ich darf sehr zufrieden sein mit dem, was ich habe. Aber es ist auch nicht so, dass ich für den Rest meines Lebens ausgesorgt habe. Ich werde mir wieder einen Job suchen müssen.
Der Winterthurer Noldi Ehrensberger, der 1977 aufgrund eines strikten Werbeverbots noch kein Kapital aus seinem Schwingerkönig-Titel schlagen konnte, hat kürzlich in einem Interview mit SonntagsBlick Ihnen und anderen Schwingern Geldgier unterstellt. Hat Sie diese Aussage geschmerzt?
Schon ein bisschen. Geld war für mich nie der Antrieb, um in den Sägemehlring zu steigen. Ich habe mich zu einer Zeit für diesen Sport entschieden, in der man im Schwingen noch gar kein Geld verdienen konnte. Und ich hätte auch noch drei Jahre weitergeschwungen, wenn ich 2019 nicht König geworden wäre und keine zusätzlichen Werbeverträge hätte unterzeichnen können. Das habe ich ja schon vor dem Eidgenössischen in Zug festgelegt. Und Ehrensberger betont ja immer, dass er nicht neidisch sei, weil die Schwinger heute im Gegensatz zu früher Geld verdienen können. Ich habe aber das Gefühl, dass bei Noldis Aussagen schon ein gewisser Neid mitschwingt. Ich bin mir aber sicher, dass er in meiner Situation das Geld auch nicht abgelehnt hätte.
Nun ist es üblich, dass sich ein Schwingerkönig auch nach seiner Aktivzeit in irgendeiner Form in den Dienst seines Sports stellt. Welche Tätigkeit schwebt Ihnen vor?
Ich kann mir sehr gut vorstellen, bei den Jungschwingern oder den Aktiven als Kampfrichter zu amtieren.
Seit die Kranzfeste live übertragen werden, stehen die Kampfrichter häufig in der Kritik, weil die Zeitlupen nahezu jeden Fehlentscheid aufdecken. Wo würden Sie diesbezüglich den Hebel ansetzen?
Stefan Strebel, der amtierende technische Leiter des Verbandes, hat bezüglich der Kampfrichter schon sehr viel Gutes vorangetrieben. Aber die Entlöhnung dieser Entscheidungsträger ist bei weitem noch nicht zeitgemäss. Etwas überspitzt formuliert wird ein Kampfrichter mit einem warmen Händedruck und einer Trockenwurst entlohnt. Die 50 Franken Spesen decken den meisten Kampfrichtern nicht einmal die Benzinkosten. Wenn man bedenkt, dass bei den vielen Kranzfesten die Schwinger im Gabentempel Preise zwischen 300 und 3500 Franken aussuchen können, darf es nicht sein, dass sich die Kampfrichter mit einem halb vollen Tank begnügen müssen.
Eine Neuerung hat es in der Kampfrichterei aufgrund Ihres Duells mit Nick Alpiger am letzten Eidgenössischen gegeben. Weil Alpiger in Pratteln beim Greifen viel Zeit geschunden hat, werden die Schwinger seit dieser Saison angewiesen, innert 45 Sekunden den Griff an den Hosen des Gegners anzulegen. Ansonsten droht ein Abzug von bis zu einem Punkt.
Ich begrüsse diese Neuerung sehr. Schade, dass es diese Regelung nicht schon vor einem Jahr gegeben hat.
Sind Sie immer noch wütend auf Alpiger?
Nicht wütend, aber sein Sieg über mich wird immer einen faden Beigeschmack haben. Grundsätzlich muss jeder für sich entscheiden, wie er schwingen will. Wenn es für ihn stimmt, ist das schön und gut. Aber in meinen Augen war Alpigers Verhalten in diesem Zweikampf mit mir eines Sportsmanns nicht würdig. Nick hat während rund zweieinhalb Minuten richtig blöd getan beim Greifen. Klar, im Endeffekt hat er mich ziemlich clever besiegt. Aber das Vorgeplänkel hat definitiv nicht der feinen englischen Art entsprochen. Und es war leider nicht das erste Mal, dass er in einem Zweikampf zu derart grenzwertigen Mitteln gegriffen hat.
War Alpiger der unangenehmste Kontrahent in Ihrer Laufbahn?
Ich möchte mich in dieser Kategorie nicht auf einen Namen festlegen. Mit den Berner Oberländern Simon Anderegg und Hanspeter Luginbühl habe ich auch nie wirklich gerne zusammen gegriffen.
Wer war Ihr aussergewöhnlichster Gegner?
Der Berner Mittelländer Andreas «Res» Werren. Res kam lediglich mit einem gesunden Arm auf die Welt. Dank seiner herausragenden Technik hat er dennoch einige Kränze gewonnen. Und einmal hat Res auch mich besiegt.
Wenn Sie das Rad der Zeit zurückdrehen könnten – welchen Kampf würden Sie gerne noch einmal bestreiten?
Den ersten Gang am Eidgenössischen 2010 gegen Jörg Abderhalden. Da habe ich den dreifachen König mit einem Kurzzug «gespalten». Dummerweise habe ich den Schwung nicht durchgezogen, musste mich deshalb mit einem Gestellten begnügen. Ich würde gerne wissen, was passiert wäre, hätte ich diesen «Churz» kompromisslos durchgezogen.
Genau wie der heutige «Samschtigjass»-Schiedsrichter Abderhalden sind auch Sie in den letzten Jahren zum Medientopprofi avanciert. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an Ihre ersten TV-Auftritte denken?
(Lacht laut.) Da muss ich mir wirklich an den Kopf langen! Kurz bevor ich als 16-jähriger Forstwart-Lehrling 2001 in Nyon mein erstes Eidgenössisches bestritten habe, bin ich im Lokalsender Tele Bielingue mit blondierten Haaren und im Hawaii-Hemd aufgetreten. Im Gegensatz zu heute war ich damals noch sehr schüchtern. Bei meinem allerersten TV-Auftritt in TeleBärn habe ich es in einem zwölf Minuten langen Talk auf eine Redezeit von knapp drei Minuten gebracht. Die restliche Sendezeit hat der Moderator Albi Saner gefüllt. Im Gegensatz zu anderen jungen Sportlern von heute kam ich damals nie in den Genuss eines Medientrainings. Deshalb darf ich mit meiner Entwicklung in dieser Sparte zufrieden sein.
Sie haben Ihr ungewöhnliches Outfit bei den ersten TV-Auftritten angesprochen. Verraten Sie uns doch auch noch den ungewöhnlichsten Preis, den Sie jemals von einem Schwingfest mit nach Hause nahmen.
Beim Eidgenössischen 2016 in Estavayer habe ich einen Fiat 500 genommen, mit dem seither meine Mutter durch die Weltgeschichte fährt. An einem anderen Schwingfest habe ich nach einem Kranzgewinn ein Trettraktor für Xavier genommen. Nach dem zweiten Rang am Berner Kantonalen 2018 hat mein ältester Sohn wegen meiner Preisauswahl jedoch einige Tränen vergossen!
Warum?
Beim ersten Rundgang durch den Gabentempel stach mir ein Whirlpool ins Auge. Ich habe danach meinen Liebsten angekündigt, dass ich mich sehr wahrscheinlich gegen einen Lebendpreis und für dieses Sprudelbecken entscheiden werde. Xavier hat sich deshalb in Gedanken bereits im Whirlpool gesehen. Deshalb war er untröstlich, als ich mich im letzten Moment dann doch für das Rind entschieden habe.
Werden wir Xavier und seinen jüngereren Bruder Elia demnächst an einem Jungschwingertag im Einsatz sehen?
Im vorletzten Herbst haben wir mal zusammen einen Anlauf genommen, sie haben mich in die Trainings im Schwingkeller begleitet. Am Anfang waren die beiden total begeistert. Ihre Lust aufs Schwingen hat aber immer mehr nachgelassen. Jetzt spielen sie beide mit grosser Leidenschaft Fussball. Falls meine Buben eines Tages doch noch in die Zwilchhosen steigen möchten, werde ich sie natürlich voll unterstützen. Wenn nicht, bin ich aber auch nicht traurig. Als Söhne eines Schwingerkönigs würde auf ihnen eh ein besonders grosser Druck lasten. Sie würden ständig an meinen Leistungen gemessen. Und ich habe in den letzten Jahren einige Söhne ehemaliger Topschwinger erlebt, die unter dieser Situation gelitten haben.