Schwimm-Star Desplanches spricht über schwere Krise
«Ich dachte, es wäre besser, sich das Bein zu brechen»

Einst war Jérémy Desplanches das Aushängeschild in der Schweizer Schwimmszene. Doch nach seinem Olympiaerfolg 2021 fiel er in ein Loch. Nun hat er sich wieder aufgerafft – um ein allerletztes Mal anzugreifen.
Publiziert: 04.02.2024 um 11:43 Uhr
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Aktualisiert: 06.02.2024 um 09:43 Uhr
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In den letzten zwei Jahren plagten Jérémy Desplanches grosse mentale und körperliche Probleme.
Foto: keystone-sda.ch
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Nina KöpferRedaktorin Sport

Blick: Jérémy Desplanches, einige Wochen vor der Weltmeisterschaft haben Sie Ihre Trainingsbasis von Frankreich nach Genf verlegt. Eine Verzweiflungstat, um doch noch in WM-Form zu kommen?
Jérémy Desplanches: Na ja. Es kann riskant sein, denn es bleibt wirklich wenig Zeit, mich hier einzugewöhnen. Auf der anderen Seite kam ich in Frankreich nicht mehr weiter, es war Zeitverschwendung. Und hier ist mein Zuhause, hier fühle ich mich wohl. Auch wenn ich nun zehn Jahre lang nicht mehr hier war. Es tut mir gut, all meine Freunde von früher zu sehen. Ich habe viel aufzuholen.

Ist das nicht zu viel Ablenkung?
Ich muss schon aufpassen. Fast jeden Abend rufen mich meine Freunde an und wollen mich zum Feiern mitschleppen. Aber da muss ich streng sein und Nein sagen. Immerhin bin ich ja doch noch professioneller Schwimmer.

Doch noch? Waren Sie das zwischenzeitlich nicht mehr?
Ich wollte es nicht mehr sein.

Sie haben an Rücktritt gedacht?
Ich hatte die Freude am Schwimmen verloren, dazu kam eine langwierige Covid-Erkrankung und gleichzeitig auch noch Pfeiffersches Drüsenfieber. Diese Kombination war nicht schön.

Jérémy Desplanches persönlich

Der Genfer Jérémy Desplanches (29) begann erst mit 17 Jahren ernsthaft Wettkämpfe zu bestreiten. Mit 18 zog es ihn nach Südfrankreich, wo er den Grossteil seiner Karriere verbrachte. Seinen ersten internationalen Grosserfolg feierte er im Jahr 2018 mit dem Europameistertitel über 200 Meter Lagen. Jérémy Desplanches Paradedisziplin gilt als besonders anspruchsvoll, da man alle 50 Meter den Schwimmstil ändern muss. Im Jahr darauf folgte der Vize-Weltmeistertitel. Mit der Bronzemedaille an den Olympischen Spielen 2021 erreichte er den bisherigen Höhepunkt seiner Karriere. Desplanches war nach Etienne Dagon im Jahr 1984 erst der zweite Schweizer Schwimmer, dem das gelang. Seit Sommer 2023 ist er mit der französischen Spitzenschwimmerin Charlotte Bonnet verheiratet.

Der Genfer Jérémy Desplanches (29) begann erst mit 17 Jahren ernsthaft Wettkämpfe zu bestreiten. Mit 18 zog es ihn nach Südfrankreich, wo er den Grossteil seiner Karriere verbrachte. Seinen ersten internationalen Grosserfolg feierte er im Jahr 2018 mit dem Europameistertitel über 200 Meter Lagen. Jérémy Desplanches Paradedisziplin gilt als besonders anspruchsvoll, da man alle 50 Meter den Schwimmstil ändern muss. Im Jahr darauf folgte der Vize-Weltmeistertitel. Mit der Bronzemedaille an den Olympischen Spielen 2021 erreichte er den bisherigen Höhepunkt seiner Karriere. Desplanches war nach Etienne Dagon im Jahr 1984 erst der zweite Schweizer Schwimmer, dem das gelang. Seit Sommer 2023 ist er mit der französischen Spitzenschwimmerin Charlotte Bonnet verheiratet.

Das hat Ihnen total den Boden unter den Füssen weggezogen.
Absolut. Ich konnte mich kaum mehr fürs Training aufraffen. Bis ich im vergangenen März die Handbremse ziehen musste und professionelle Hilfe in Anspruch nahm.

Was war der Auslöser dafür?
Ich erinnere mich ganz genau, wie ich nach dem Training nach Hause fuhr, mit dem Trottinett. Und da ging mir plötzlich der Gedanke durch den Kopf – wenn ich jetzt stürze und mir den Arm breche, wäre das gar nicht so schlimm, dann müsste ich nicht mehr trainieren.

Ein beängstigender Gedanke.
Angst hatte er mir nicht gemacht. Ich hatte ja Lust am Leben. Aber ich wollte einfach nicht mehr schwimmen. Ich dachte mir sogar, es wäre eigentlich noch besser, sich das Bein zu brechen. Dann könnte ich immer noch Computerspiele gamen. Auf jeden Fall begannen meine Alarmglocken zu läuten.

Und Sie holten sich psychologische Hilfe?
Genau. Ich habe eine Pause von sechs Wochen eingelegt, drei Monate vor der WM in Japan. Ich wusste – entweder mache ich jetzt diese Pause, oder ich höre ganz auf.

Was hat Sie überzeugt, weiterzumachen?
Zu grossen Teilen mein Trainer in Frankreich, Philippe Lucas. Ich weiss, in den Medien ist er als harter Hund bekannt, der am Beckenrand rumschreit. Er verlangt viel von seinen Schwimmern. Bei ihm spult man unglaublich viele Kilometer ab und kann sich fast nie ausruhen. Aber er gibt auch viel.

Wie meinen Sie das?
Er ist absolut immer für seine Schwimmer da. Immer. Auch, wenn es ihm schlecht geht. Und wenn ich morgens jeweils total abgekämpft, erkältet und schlapp im Schwimmbad aufgetaucht bin, hat er mir auf die Schulter geklopft und gesagt: Allez Jérémy, das packst du schon, wir finden eine Lösung. Ohne ihn wäre ich vermutlich zurückgetreten.

Und doch haben Sie ihn verlassen.
Es hätte sicher besser funktioniert, wenn ich in Topform gewesen wäre. Aber so, mit all meinen Krankheiten, war es nicht mehr das Richtige.

Nun machen Sie nach den Olympischen Spielen im Sommer Schluss. Das haben Sie ganz nebenbei in einem Facebook-Eintrag erwähnt. Andere würden eine Pressekonferenz veranstalten, um den Rücktritt mitzuteilen.
(Lacht.) Die Pressekonferenz kommt schon noch, vermutlich mit meiner Frau zusammen (der französischen Olympia-Schwimmerin Charlotte Bonnet, Anm. d. Red). Auch sie wird nach den Spielen zurücktreten, und es gibt einige Leute, bei denen wir uns offiziell bedanken möchten. Aber wer mich kennt, weiss, dass ich aus dem Rücktritt kein grosses Ding machen will. Der Gedanke geisterte ja schon länger in meinem Kopf herum. Und Olympia wäre ein schöner Schlussstrich.

Nach Olympia-Bronze in Tokio wollten Sie sich an der Weltspitze festkrallen, nun sind Sie ein halbes Jahr vor Paris noch nicht qualifiziert. Ist die Quali ein Muss, trotz der schwierigen Zeiten hinter Ihnen?
Es ist ein Dürfen. Es wäre wirklich eine schöne Belohnung für diese harten letzten zwei Jahre.

Also reisen Sie ganz entspannt an die WM in Doha, wo Sie sich qualifizieren könnten?
Ja … aber eigentlich auch nicht. Ich habe keine Verpflichtung. Aber seit meiner Rückkehr nach Genf ist der Erwartungsdruck von aussen wieder gestiegen. Die Leute sind wieder auf mich aufmerksam geworden und erwarten etwas. Und ich wäre schon froh, wenn ich es jetzt schaffe. Dann wäre ich entspannter.

Entspannter, um das Leben nach Ihrer Karriere zu planen?
Uff, ich muss mir verbieten, zu viel an die Zukunft zu denken. Im Moment bin ich noch zu 100 Prozent Schwimmer, das ist mein Fokus. Was danach kommt, wird sich zeigen.

Aber eine Idee haben Sie bestimmt.
Bislang steht einzig und allein fest, dass Charlotte und ich nach Paris sechs Monate die Welt bereisen. Und wenn es uns irgendwo gefällt, wer weiss, bleiben wir dort vielleicht.

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