Roman Mityukov (23) kann es immer noch kaum fassen. Der Genfer schwamm am Freitag über die 200 Meter Rücken zu Bronze. Er ist erst der fünfte Schweizer nach Dano Halsall (60), Marie-Thérèse Armentero (57), Flavia Rigamonti (42) und Jérémy Desplanches (28), der eine WM-Medaille gewinnt.
Blick: Es sind jetzt mehrere Tage seit Ihrem Erfolg vergangen. Ist Ihnen mittlerweile bewusst, was Sie erreicht haben?
Mityukov: Nein, noch immer nicht ganz. Am Freitag war es unmöglich. Ich weiss nicht, was ich sagen soll. Auf dem Podium habe ich mich gefragt, was ich hier mache (lacht). Es ist unglaublich.
Wir erinnern uns an Ihre frustrierenden vierten Plätze bei den Europameisterschaften im letzten Jahr.
Sie können sich nicht vorstellen, wie oft ich an diese vierten Plätze in Rom gedacht habe. Ich habe die ganze Saison über daran gedacht und das zu meiner Motivation im Training gemacht. Ich sagte mir: «Konzentriere dich darauf, dann wirst du schneller. Du bist mental stärker.» Ich denke, das hat mir in dieser Saison sehr geholfen. Bei der letzten Länge habe ich nicht daran gedacht, dass ich noch einmal einen vierten Platz erleben werde. Ich habe am Ende alles reingeworfen und gehofft, dass es fürs Podest reicht.
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Ist das für Sie eine Art Rache am Schicksal?
Ja, ein bisschen. Aber ich habe in dieser Saison vieles verbessert und mich in einigen Punkten weiterentwickelt. Ich glaube sehr stark an das Schicksal. Über die 100 Meter Rücken zum Beispiel habe ich mich um 11 Hundertstel nicht für den Halbfinal qualifiziert. Ich sagte mir, dass das Glück in diesem Fall nicht auf meiner Seite war, aber ich hoffte, dass es bei den 200 Meter Rücken auf meiner Seite sein würde. Und das war es dann auch, obwohl es schlussendlich nicht ganz so knapp war.
Nach hundert Metern lagen Sie auf Platz sieben. War das Ihr Plan?
Ja, die Strategie hat sich in dieser Saison geändert. Letztes Jahr bin ich sehr schnell gestartet, konnte das Tempo aber nicht halten. Meine Trainer und ich haben daher beschlossen, die Taktik zu ändern. Und ich denke, das hat mir in dieser Saison geholfen.
Welche Gefühle überwogen auf dem Podium?
Es ist unglaublich. Du denkst: «Endlich habe ich nach zwei Jahren wieder eine internationale Medaille.» Und jetzt ist es eine WM-Medaille. Als Kind habe ich die Weltmeisterschaften geschaut, aber nie gedacht, dass ich so etwas erreichen könnte.
Neben dem Schwimmen studieren Sie an der Universität Genf Jus. Was war stressiger? Die Prüfungen oder der Final über 200 Meter Rücken?
Die Prüfungen waren stressig, aber nicht so stressig wie das Rennen. Bei Prüfungen duellierst du dich nicht mit den anderen. Du fürchtest dich vor dem Ergebnis. Beim Rennen geht es um all die Arbeit, die du während der Saison geleistet hast. Du willst dich nicht selbst enttäuschen. Es ist etwas anderes, mit einer Medaille nach Hause zu gehen. Wenn du Vierter, Fünfter oder Sechster wirst, hast du nichts erreicht.
Haben Sie die Prüfungen bestanden?
Ja, ich habe sie sogar sehr gut bestanden. Es war eine ziemlich intensive Zeit, denn ich wollte mehr Kurse belegen, um in den letzten beiden Semestern mehr Ruhe zu haben. Das hat sich ausgezahlt, ich bin zufrieden.
Wie war die Nacht nach dem Bronze-Coup?
Es war hart. Ich kam um 0.30 Uhr ins Hotel zurück und sprach ein wenig mit meinem Zimmerkollegen Nils Liess (26). Danach versuchte ich einzuschlafen, aber es gelang mir nicht – ich war zu aufgeregt. Ich glaube, ich bin um 2.30 Uhr eingeschlafen. Aber das war nicht die einzige schwierige Nacht. Vor dem Rennen hatte ich auch Schwierigkeiten, Schlaf zu finden. Ich habe schliesslich sechs Stunden geschlafen und hatte noch die Vorläufe über 50 Meter Rücken vor mir. Mein Trainer Clément Bailly hat mich gezwungen, sie zu schwimmen (lacht). Jetzt kann ich mir Zeit nehmen, um zu realisieren, was ich erreicht habe.
Wann werden Sie diese Medaille feiern können?
Ich bleibe noch vier Tage in Japan und werde hier etwas feiern können. Danach werde ich es auch zu Hause in Genf mit meinen Freunden und meiner Familie tun.
Die Olympischen Spiele sind in etwas weniger als einem Jahr. Ein gutes Omen?
Ja, die Weltmeisterschaften und diese Medaille haben mir viel Selbstvertrauen gegeben. Ausserdem bin ich eine Sekunde langsamer als meine Bestzeit geschwommen, kann mich also noch steigern. Ich kann jetzt in Ruhe arbeiten und weiss, dass alles, was ich in dieser Saison getan habe, etwas gebracht hat. Ich muss die gleiche Dynamik beibehalten und natürlich einige Dinge verbessern. Aber im Moment denke ich noch nicht an die Olympischen Spiele. Ich werde jetzt erst einmal meine Medaille geniessen und werde später daran denken.