Champagner zum Frühstück! Als Noè Ponti (20) an den Olympischen Spielen sensationell zu Bronze schwimmt, knallen daheim im Tessin die Korken. «Mein Rennen war um 3.30 Uhr morgens Schweizer Zeit. Um 4 Uhr haben sie Champagner getrunken», schildert Ponti die pure Ekstase zu Hause am Lago Maggiore, als seine Eltern, die Schwester, Verwandte und Bekannte die Nacht zum Tag machen – und danach noch 20 Stunden bis Mitternacht weiterfeiern.
Während der Bronze-Coup von Schwimmer Jérémy Desplanches (27) auch schon vor den Spielen nicht unmöglich schien, schlug Ponti nur einen Tag nach dem Genfer komplett aus dem Nichts zu. Der Tessiner holt die überraschendste der 13 Schweizer Medaillen.
Die Folgen sind enorm. «Diese Medaille hat mein Leben verändert. Ich wurde von null auf hundert katapultiert», sagt Ponti zu SonntagsBlick. Ging er vor dem Tokio-Knall durch die Strassen von Locarno, war er ein junger Kerl wie Tausende andere. Seit seinem Coup über 100 Meter Delfin ist Ponti einer der bekanntesten Tessiner. «Ich werde immer wieder auf der Strasse erkannt und um Selfies gebeten», schildert die Schwimm-Sensation.
Neues Leben als Sport-Promi
Doch die Gefahr, dass der Überflieger abhebt, besteht kaum. Ponti wirkt geerdet. Seine neue Popularität scheint ihm noch immer etwas unfassbar zu sein – er versucht, sie einfach als Werbung für seinen geliebten Schwimmsport zu nutzen.
Beim SonntagsBlick-Besuch an seinem Trainingsort im Sportzentrum Tenero TI ist zwar sein Outfit ziemlich extrovertiert – aber sonst ist Ponti eher introvertiert. Ein Familienmensch durch und durch. Seit er mit sechs Jahren dem Schwimmklub beigetreten ist («eine andere Sportart hat mich nie interessiert!»), sind seine Eltern Vittoria und Mauro am Beckenrand hautnah dabei.
Als Riesenfans, als Sponsorenbetreuer und als Management. Schwester Asia, die ihre eigene Schwimmkarriere früh aufgegeben hat, nun den Master in Rechtswissenschaften macht und Anwältin werden will, kümmert sich um die Social-Media-Accounts des Bruders. Ponti denkt auch noch nicht ans Ausziehen daheim in Gambarogno TI. «Meine Mutter kocht gut», sagt er schmunzelnd.
Eine Freundin gibts nicht im Leben des womöglich begehrtesten Singles des Tessins. «Zeit für eine Beziehung hätte ich», versichert Ponti, der sich trotz enormem Trainingsaufwand mit zehn Wassertrainings und diversen Schichten im Kraftraum pro Woche auch immer wieder bewusst mit seinen Kumpels trifft. «Mein Freundeskreis setzt sich aus früheren Schul- und Schwimmkollegen zusammen. Ich gehe gerne aus und trinke auch mal was. Ich bleibe dann einfach nicht die ganze Nacht, und in der Phase vor wichtigen Wettkämpfen gibts keinen Ausgang», sagt das Riesentalent, das oft an sieben Tagen die Woche im Wasser ist.
Vier Rekorde an drei SM-Tagen
Das neue Leben als Sport-Promi hat Ponti aber im Pool nicht eingebremst. Seit er im November wieder auf die Wettkampfbühne zurückgekehrt ist, befindet er sich in Rekordlaune. Zunächst gibts beim Meeting in Bozen (It) einen neuen Schweizer Rekord. Und dann, am letzten Wochenende an den Kurzbahn-Meisterschaften in Sursee LU, schwimmt er an drei Tagen gleich vier Landesrekorde!
Er reisst die 35 Jahre alte Marke über 100 Meter Delfin nieder (neu 49,98 Sekunden) und zerstört auch mit Wucht Desplanches' Rekord über 200 Meter Lagen, die Ponti neu auf 1:53,10 Minuten setzt. Seine Zeiten aus Sursee sind europäische Spitzenklasse und eine Ansage für die Kurzbahn-WM Mitte Dezember in Abu Dhabi.
Doch der Tessiner mit dem riesigen Potenzial bleibt cool und sagt nur: «Ich habe mich auf die SM nicht wirklich vorbereitet und mich zudem in den Tagen zuvor nicht besonders gut gefühlt», sagt Ponti. Das sei an einer Osteopathen-Sitzung gelegen, da brauche der Körper jeweils ein, zwei Tage, um sich zu regenerieren. Doch schon am Freitag fällt der erste Rekord. Ponti: «Es war ein tolles Wochenende. Es ist mir locker gefallen, diese Zeiten zu schwimmen.»
Das Erstaunlichste: Ponti ist auf Topniveau, obwohl er nach Olympia ein überhastet wirkendes Amerika-Abenteuer wagt und kurz darauf wieder abbricht. Zwei Wochen nach der Tokio-Rückkehr und mit einem frisch gestochenen Olympia-Tattoo am Arm fliegt der Tessiner in die USA, wo er in North Carolina an der Uni studieren und trainieren will. Das neue Leben in Übersee war schon vor Olympia aufgegleist. Es hätte für Ponti der nächste Schritt in seiner Entwicklung als Spitzensportler sein sollen.
Das abgebrochene USA-Abenteuer
Aber schon nach vier Wochen bricht der Bronze-Star die Übung ab. «Die ersten zwei Wochen waren eine tolle Erfahrung, die ich nicht missen will. Doch dann habe ich gemerkt, dass mir Rückschritte drohen», schildert der 1,92-Meter-Modellathlet. Die Trainer in den USA betreuen Dutzende Schwimmer, es blieb kaum Zeit für individuelles Coaching. Dazu kommt, dass er mental seinen Olympia-Coup noch gar nicht verarbeitet hat.
Ponti glaubt, dass er zwei Jahre zuvor von den Bedingungen bei den Amis profitiert hätte. «Aber jetzt bin ich an einem anderen Punkt in meiner Karriere. Je länger ich geblieben wäre, desto mehr Zeit hätte ich verloren. Deshalb habe ich es schnell wieder beenden wollen», sagt er über seine Blitz-Rückkehr, die etwa der «Tages-Anzeiger» ein «bitteres Scheitern» nennt.
Ponti: «Ich sehe es überhaupt nicht als Scheitern. Ich bin froh, dass ich es probiert habe. Denn nun weiss ich, dass ich andere Ziele habe.» Diese verfolgt er nun mit demselben Team wie schon vor und während Tokio 2021: Neben seinen Eltern und seiner Schwester gehören Cheftrainer Massimo Meloni, Athletiktrainer Andrea Arcuri, ein Physio, ein Osteopath und ein Sportpsychologe dazu.
Ponti trainiert in Tenero in einer kleinen Gruppe mit zumeist jüngeren Talenten, aus denen er als Olympia-Abräumer natürlich herausragt. «Aber ich will deswegen nicht ein Idol für sie sein», sagt er. Vielmehr will Ponti vorleben, was es für eine solche Medaille braucht: viel Arbeit. Er zählt sofort auf, dass es bei ihm etwa beim Start und dem Eintauchen noch viel zu verbessern gibt.
Bei der Schufterei im Training hat Ponti bereits die Olympischen Spiele 2024 in Paris als grosses Ziel im Hinterkopf, denn er sagt: «Das ist schon in zwei Jahren und neun Monaten!» Wer weiss, ob dann in der Vitrine, die Ponti gerade für seine Tokio-Bronze in Arbeit hat, eine weitere Olympiamedaille liegt.