Es gibt in der Schweiz die Ovomaltine, das Aromat, die Toblerone, das Matterhorn und Bernhard Russi. Ja, die ewige und scheinbar alterslose Sport-Ikone aus Andermatt UR ist zu einem Stück Kulturgut geworden. Am Sonntag feiert der Mann, der im Winter noch fast täglich auf den Ski steht und noch jede Felswand trittsicher hinaufklettert, seinen 75. Geburtstag. Die Feier besteht aus einer Velotour mit seiner Familie vom Aargau nach Andermatt. Den Stellenwert von Bernhard Russi für die Schweiz zeigt auch ein Blick auf das sonntägliche TV-Programm. Auf SRF 1 ist Russi erst Gast bei «Gredig direkt», danach folgt der DOK «Von hohen Gipfeln und dunklen Tälern» und schliesslich der DOK «Klammer gegen Russi, das Rennen ihres Lebens». SonntagsBlick blickt in einigen Stichworten zurück auf bewegte 75 Jahre.
Die Jugend
Die Tage waren lang. Um fünf Uhr aufstehen, dann mit den Grosseltern in die Frühmesse als Messdiener. Danach ging es regelmässig ins Hotel Helvetia, das seine Tante geführt hat. Er wischt den Parkplatz und poliert die Schuhe der Gäste vor dem Zimmer und verdient sich so sein erstes Sackgeld. Er ist mit zwölf Jahren in den Schulferien vollamtlicher Hotelportier. Sein ausgeprägter Geschäftssinn hilft ihm schon damals. Die Scheiben der Autos auf dem Parkplatz poliert er erst, wenn er sieht, dass die Gäste Richtung Auto marschieren. Das Trinkgeld ist ihm gewiss. Zu dieser Zeit ist er längst ein Schneesportler. Im Alter von einem Jahr und vier Monaten erhält er seine ersten Ski. Mit vier Jahren stapfen die mutigen Buben an der Talstation des Gemsstocks weit hinauf und basteln ihre Schanzen. 1962 wird er in Andermatt Jugendmeister in der Kombination Abfahrt, Slalom, Langlauf und Skisprung. Der damals gewonnene Zinnbecher hat für ihn emotional den gleichen Wert wie die Olympiasieger- und Weltmeistermedaille.
Der Durchbruch
Fragt man Bernhard Russi nach den schönsten zwei Tagen seines Lebens, dann kommt die Antwort blitzschnell. «Der 3. Mai 1980 und der 14. August 1992. Da sind meine Kinder Ian und Jenny zur Welt gekommen.» Zurückstehen müssen dann die zwei Leuchttürme seiner Karriere. Am 15. Februar 1970 wird er in Gröden (It) sensationell Abfahrtsweltmeister. Der 21-Jährige gewinnt erst einen Monat zuvor seine ersten Weltcuppunkte. Legendär ist, wie ihm sein Servicemann Paul Berlinger in letzter Sekunde das Wachs von den Skiern kratzt. Es ist das Erfolgsrezept bei diesem Neuschneerennen. Am 7. Februar 1972 wird Russi in den goldenen Tagen von Sapporo Olympiasieger. Sein früh verstorbener Vater ist, wie in Gröden, in Japan mit dabei. Er hat nur zwei Rennen seines Sohnes live miterlebt. Den WM-Titel und den Olympiasieg.
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Die Fairness
Ein Stück helvetische Sportgeschichte ist die Olympiaabfahrt 1976. Bernhard Russi steht mit Bestzeit im Ziel, als der 22-jährige Kärntner Franz Klammer am Start steht. 60'000 Zuschauer sind an der Strecke, ganz Österreich sitzt vor den TV-Geräten. Der Druck für Klammer ist enorm. Er hält ihm stand und wird Olympiasieger. Russi bleibt Silber. Seine herzliche und schon fast überschwängliche Gratulation an Klammer im Zielraum begründet seinen Ruf als fairen Sportsmann. «Ich habe, ganz ehrlich, damals gehofft, dass er gewinnt. Es musste so sein. Er hat das verdient, und das Drehbuch hat gestimmt», sagt Russi später. Seine Freundschaft mit Klammer hat bis heute Bestand. Und Russi wird zur sportlichen Ikone, obwohl er «nur» zehn Weltcuprennen gewinnt.
James Bond
Bernhard Russi ist noch in der Lehre als Hochbauzeichner, als er als Stuntman für den James-Bond-Film «Im Geheimdienst Ihrer Majestät» verpflichtet wird. Für eine Tagesgage von 150 Franken. Bei einer Verfolgungsfahrt auf Ski stürzt er schwer und ist kurz bewusstlos. Er bricht sich den siebten Halswirbel und die Hand und liegt drei Monate im Spital. James Bond hat ihn beinahe seine Karriere gekostet.
Geschäftsmann und Werbeträger
Bernhard Russi hat eine Karriere an die nächste gehängt. Er ist Architekt und Pistenarchitekt, er investiert schon in frühen Jahren in Immobilien, er ist als Co-Kommentator jahrzehntelang die Stimme des Schweizer Skisports beim Fernsehen, er schreibt seit Jahrzehnten Kolumnen für Blick und SonntagsBlick, er ist lange Zeit Geschäftsführer von Bogner Schweiz. Er ist auch Weggefährte von Samih Sawiris und seinem gigantischen Projekt in Andermatt. Und dazu ist er seit Jahrzehnten auch Werbeträger für viele Firmen. In den letzten Jahren hat er sich zurückgezogen. Stillsitzen aber kann dieser Mann nicht. «Und wenn ich Sport treibe, dann tue ich dies immer noch mit einigem Ehrgeiz. Ich glaube, als Spitzensportler kann man seine Startnummer nie abziehen.»
Seine Schicksalsschläge
Was Russi anpackt, wird zu Gold. Ein Leben als Sonnyboy auf der Überholspur? Das strahlende Image von Russi ist eine verzerrte Wahrnehmung. Der neben Wilhelm Tell berühmteste Urner hat auch schwere Schicksalsschläge zu verarbeiten. «Mein Vater ist gestorben, als ich ihn am meisten gebraucht hätte», sagt Russi. Einer seiner Brüder stirbt schon sehr früh und unerwartet an einer eigentlich harmlosen Infektion. Seine kleine Schwester ist seit der Kindheit schwerstbehindert. Den schlimmsten Moment erlebt er, als seine erste Frau Michéle Rubli 1996 in einer Lawine ums Leben kommt. Er ist mit Willy Bogner in St. Moritz, als er vom Tod seiner Frau erfährt. «Ich bin in der Nacht nach Hause gefahren und musste dann am Morgen unserem Sohn erklären, dass seine Mutter gestorben ist. Das war fürchterlich.»
Der Sänger
Dass nicht alles, was Russi anpackt, auch tatsächlich zu Gold wird, zeigt sein Abstecher in die Unterhaltungsbranche. Als Sonnyboy des Schweizer Sports mit wehendem Haupthaar wittert man 1978 die Chance, aus dem Andermatter einen Schlagerstar zu machen. Der Song «Winter isch kei Winter ohni Schnee» gehört allerdings in die Kategorie Fettnäpfchen. In etwa wie der Song von Vreni Schneider «En Kafi am Pischterand».
Die Zukunft
Russi verbringt Zeit mit seiner Frau Mari in ihrem gemeinsamen Haus in Schweden. Er macht weiter Expeditionen, er hat immer noch den Drang, ans Limit zu gehen, Herausforderungen zu suchen. Beim Zähneputzen macht er jeden Abend Kniebeugen, so viele, wie er an Jahren zählt. 75 werden es ab sofort sein. «Am meisten freue ich mich immer auf meine Enkelkinder. Das ist wunderbar. Wenn die mich anlachen, dann habe ich das Gefühl, der Grösste zu sein. Dann kann man alle Pokale und Medaillen im Keller versorgen.» Alles Gute zum Geburtstag!