Tatort München. Genauer: Kloster Fürstenfeld. Im Gegensatz zur TV-Kriminalfilm-Reihe spielen nicht Franz Leitmayr und Ivo Batic die Hauptrollen, sondern Marlen Reusser und Stefan Bissegger. Sie liefern im Zeitfahren eine spannende Show mit schönem Ende ab. Beide holen EM-Gold. Doch der Reihe nach.
Reusser trainierte in der Dunkelkammer
Zuerst wuchtet kurz nach 14.40 Uhr Reusser von der Startrampe. Ihr Ziel ist Gold, nichts mehr und nichts weniger. Das Problem: Die Bernerin fühlt sich miserabel. «Das ist nicht mein Tag», denkt sie nach wenigen Metern. Es ist ein Trugschluss – wie schon 2021 rast sie zum Titel und kann ihr Glück kaum fassen. «Es lief von Anfang an harzig. Ich dachte, ich stehe fast still und könnte auch aufgeben. Aber dann riss ich mich zusammen. Es führen halt letztlich viele Wege nach Rom.»
Tatsächlich hat Reusser auf der Strecke nicht nur ein schlechtes Gefühl, sondern auch die holländische Weltmeisterin Ellen van Dijk (35) im Nacken. Dazu streikt ihr Funkgerät. «Ich wusste nicht, wie ich im Rennen liege. Letztlich weiss ich selbst nicht, wie das heute möglich war.» Der Grund für Reussers Zweifel: Vor drei Wochen stürzte sie bei der Tour de France und erlitt ihre insgesamt dritte Hirnerschütterung.
«Ich hatte danach ein sensorisches Problem beim Training, die vielen Reize und das Licht machten mir Kopfweh. Darum fuhr ich eine Woche lang nur noch auf der Rolle in einem dunklen, ruhigen Raum», so Reusser.
Und wie fühlt es sich an, die Goldmedaille um den Hals zu haben? Die ausgebildete Ärztin sagt: «Sie hat eine komische Form, ist dreieckig. Aber sie passt zu diesem komischen Sieg.»
Der «Muni» zeigt seine Hörner
Bissegger hat nicht die gleiche, aber eine ähnliche Pechsträhne wie Reusser hinter sich. Er war in dieser Saison mehrmals krank, auch Corona erwischte ihn. Bei den Zeitfahren der Tour de France bremsten ihn danach falsche Pneus und eine defekte Gangschaltung aus – der «Muni» aus dem Thurgau verzweifelte. Das ist jetzt vergessen. «Ich bin sehr stolz, dieses Trikot kann mir keiner nehmen. Einige sagten, ich hätte eine grosse Klappe. Aber ich habe bewiesen, dass ich es kann», so Bissegger.
Nicht lächeln kann dagegen Stefan Küng – er verliert weniger als eine Sekunde auf seinen Namensvetter und holt nach zwei EM-Titeln (2020 und 2021) Silber. «Der Zweite ist der erste Verlierer. Dass es so knapp ist, macht die Sache noch schwieriger», so Küng.