Auf den ersten Blick ist es ein ganz normales Bahnrad-Training. Rund ein Dutzend Teenager dreht an diesem Dienstagnachmittag im Velodrome Grenchen Runde für Runde. Darunter auch die beiden 17-jährigen Kateryna Badiak und Leonid Fomenko. Vor zwei Wochen noch war die Ukraine ihre Heimat. Jetzt leben sie in Magglingen und trainieren in Grenchen, während ihre Familien dem Krieg ausgesetzt sind.
Kateryna und Leonid sind zwei von mittlerweile 27 Athletinnen und Athleten, die dank dem Engagement von Swiss Cycling in der Schweiz Unterschlupf gefunden haben. Die erste Gruppe, zu der auch Kateryna und Leonid gehörten, waren an einem Wettkampf in Lwiw in der Westukraine, als der Krieg ausbrach. Sie flüchteten nach Polen, wo sie von Swiss Cycling abgeholt und in die Schweiz gebracht wurden.
Wenige Tage später kamen 14 Mountainbiker nach. Einige der Minderjährigen brauchten fünf Tage, um von Donezk quer durch die Ukraine ins rettende Polen zu gelangen. Ohne Begleitung Volljähriger!
Die Familie ist noch in Kiew
Über 2000 Kilometer von ihrer Heimat und ihren Familien entfernt geben Kateryna und Leonid, die beide dem Bahnrad-Nationalkader der Ukraine angehören, vor ihrer Trainingseinheit in Grenchen Auskunft. Sie sprechen leise, wirken schüchtern, verständlicherweise noch nicht ganz angekommen in einer für sie neuen, fremden Welt.
Kateryna erzählt, dass ihre Familie mit ihrem älteren Bruder noch in Kiew lebt. Dass sie bei ihrer Flucht nur ein paar Klamotten dabei hatte. Dass sie sich hier in der Schweiz sehr willkommen fühlt. Dass sie allen sehr dankbar ist.
Der Mann hinter dieser Aktion heisst Thomas Peter und ist Geschäftsführer von Swiss Cycling. Er hat in den letzten Tagen für alle ein Rennrad organisiert, geschaut, dass sie sofort mit Englisch-Unterricht anfangen konnten. Eine Psychologin organisiert, an die sich die Teenager wenden können.
Für Peter eine Selbstverständlichkeit. «Wir sprechen im Sport regelmässsig über Werte. Für mich kommen diese oft zu kurz. Sport ist eben mehr als nur Gold, Silber und Bronze.» Dass Peter in den letzten Tagen immer mal wieder an seine Grenzen kam, ist nur verständlich. «Klar habe ich ab und zu eine Krise, denn ich fühle mich mitverantwortlich für 27 junge Menschen.»
Wie es Kateryna und Leonid wirklich geht, das lässt sich nur erahnen. Kateryna sagt: «Auf dem Rad kann ich die Sorgen für einen Moment vergessen. Ja, das Radfahren ist eine gute Therapie für mich.»