Der kommende Sonntag dürfte in die Geschichte der Tour de France eingehen. Passiert nichts Verrücktes, wird zum ersten Mal ein Slowene auf dem obersten Treppchen des grössten Radrennens der Welt stehen. Entweder ist es Primoz Roglic (30) oder Tadej Pogacar (21). Kaum einer glaubt, dass die slowenische Party noch verhindert werden kann. Denn: «Rog» und «Pog» liegen nicht nur auf den ersten beiden Plätzen der Gesamtwertung. Nein, sie dominieren die Tour auch nach Belieben. Während andere sich die Berge hochquälen, fliegt das Super-Duo scheinbar mühelos ins Ziel.
«Es gibt nichts zu verbergen»
Das ist bewundernswert. Gleichzeitig entfacht es auch ein Feuer der Verdächtigungen. «Von meiner Seite gibt es nichts zu verbergen. Man kann mir auf jeden Fall vertrauen», wehrt sich Roglic. Erst am Sonntag vor seinem Husarenstreich am Grand Colombier sei er um 6 Uhr morgens für eine Dopingkontrolle geweckt worden, erklärt der Ex-Skispringer. Sicher ist: Wenn am Mittwoch im Zuge der Operation Aderlass der grösste Gerichtsfall Deutschlands beginnt, dürften viele slowenische Rad-Fans mit Bangen nach München schielen. Angeklagt ist der Erfurter Mediziner Mark Schmidt – er soll mehreren Spitzensportlern über Jahre hinweg zum Blutdoping verholfen haben.
Auch die Super-Slowenen? Der Radweltverband UCI schrieb im Frühling 2019, dass man «die Aktivitäten mehrerer slowenischer Personen, darunter Fahrer, Betreuer und Mitarbeiter des Teammanagements, sorgfältig verfolgt, um mögliche Rollen in einer Reihe verschiedener Untersuchungen zu ermitteln.» Herausgekommen ist dabei nichts. Es gibt aber Hinweise, dass die Operation Aderlass auch in Slowenien aktiv war. Zudem soll Milan Erzen, Roglics Entdecker, in die Affäre verwickelt gewesen sein.
Ex-Teamkollege wurde erwischt
Bei Pogacar ist die Situation anders, aber nicht weniger verdächtig. Sein Ex-Teamkollege bei UAE, Krisijan Durasek (Kro), wurde bei der Operation Aderlass erwischt. Und Ex-Profi Andrej Hauptmann, der Entdecker des 21-jährigen Rad-Wunderkindes, erhielt im Jahr 2000 bei der Tour Startverbot. Sein Hämatokritwert war zu hoch – ein Indiz für EPO. Und da ist noch etwas: Der CEO des Teams UAE ist Mauro Gianetti. Gianetti? Genau: Der Tessiner Ex-Profi fiel 1998 bei der Tour de Romandie ohne Fremdeinwirkung vom Rad. Im Spital kämpften die Ärzte um sein Leben. Der behandelnde Doktor sprach davon, Gianetti hätte Perfluorcarbon (PFC) zu sich genommen. Offiziell wurde der «Schwächefall» durch eine Allergie hervorgerufen.
Zurück zur Roglic und Pogacar. Nachdem die beiden am Freitag ihren grossen Konkurrenten und Ex-Toursieger Egan Bernal (23, Kol) davonfuhren, sagte dieser: «Ich fuhr die besten Wattzahlen, die ich kann. Aber Primoz und Tadej waren einfach noch schneller.» Was letztlich in Bezug auf das Slowenen-Duo bleibt? Genau: Ein «Gschmäckle», wie die Schwaben sagen. Man könnte auch sagen: Ein ungutes Gefühl.