Wenn nicht jetzt, wann dann? Stefan Küng ist bereit für den grossen Coup. Für WM-Gold. Für das Regenbogen-Trikot. «Es passt alles», sagt er. Und ergänzt: «Ich weiss, dass ich alle schlagen kann.» Sollte es Küng schaffen, wäre er der erste Schweizer seit elf Jahren, der eine WM-Goldmedaille gewinnt. Damals triumphiert Ex-Champion Fabian Cancellara. Der heute 40-Jährige meint: «Für mich ist Stefan der Top-Favorit.»
Nun werden wohl manche einwenden: «Küng ist kein Siegfahrer.» Oder: «Küng schafft es nie, wenn es wichtig ist.» Tatsächlich kam dieser Eindruck zuweilen auf. Der Thurgauer war zwar viele Jahre lang gut, aber oft zu wenig gut fürs oberste Podest. «Ich bleibe immer etwa am gleichen Ort und die anderen rotieren um mich herum», sagte Küng nach dem bitteren 4. Platz bei den Olympischen Spielen. Wie sonst hätte er es ertragen, Bronze um läppische vier Zehntelsekunden verpasst zu haben?
Der «Super-Motor» dreht auf
Tatsächlich feierten viele von Küngs grössten Zeitfahr-Konkurrenten schon grosse Triumphe, ehe sie in der Versenkung verschwanden und wieder auftauchten. Küng dagegen fuhr fast immer grundsolide, mit 21 Profi-Siegen ist er unter den aktiven Schweizer Rad-Profis der bei weitem profilierteste. Und auch in Tokio enttäuschte er keinesfalls. «Ich habe eine Top-Leistung abgeliefert. Das half mir, über diese Enttäuschung hinwegzukommen», sagt er. Und siehe da: Nur zwei Wochen nach dem Olympia-Frust gewann er EM-Gold. Diese Auszeichnung ist bei weitem nicht zu vergleichen mit einem Olympia- oder WM-Triumph – das weiss Küng. Gleichzeitig ist ihm bewusst, dass er in Trient praktisch die ganze Weltelite besiegte.
Vor einem Jahr wurde Küng WM-Dritter im Zeitfahren. Nun will er zwei Stufen weiter nach oben. «Ich habe viel mehr Selbstvertrauen als damals», sagt er. Heisst: Körper gut, Kopf gut. Und auch die 43,3 Kilometer zwischen Knokke-Heist und Brügge entsprechen dem Gusto des 83-Kilo-Brockens. Sie sind topfeben. Hier lässt es sich – ganz im Gegensatz zum welligen Olympia-Parcours – Tempo bolzen. «Stefan hat den vielleicht grössten Motor im Rad-Zirkus», weiss sein Teamkollege Stefan Bissegger (23).
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Küng träumt vom Titel
Doch was ist mit Küngs Konkurrenz? Er muss sie nicht fürchten. Primoz Roglic (31, Sln) und Tom Dumoulin (30, Ho), die in Tokio die ersten beiden Plätze belegten, fehlen. Filippo Ganna (25, It) ist zwar WM-Titelverteidiger, scheint aber nach Olympia-Gold auf der Bahn etwas ausgelaugt. Bleibt Alleskönner Wout van Aert (26, Be) – er fuhr zuletzt stark und fährt vor seinem Heimpublikum. Küng weiss um die Gefahr: «Van Aert ist unglaublich, er kann überall gewinnen.»
So oder so gilt: Küng ist bereit. «Der WM-Titel ist mein Ziel, seit ich Profi wurde. Dieses Jahr habe ich eine reelle Chance», sagt er. Und was würde sich Küng gönnen, sollte es gelingen? «Sicher ein Bierchen», sagt er schmunzelnd.