Slowenen entzaubern Kolumbiens Wunderkind
König Bernal stürzt vom Thron

Titelverteidiger Egan Bernal (23) kann sich den Tour-Sieg abschreiben. Er bricht komplett ein. Der Sieg geht an ein neues Wunderkind.
Publiziert: 14.09.2020 um 09:57 Uhr
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Aktualisiert: 23.09.2020 um 10:45 Uhr
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Dieses Bild wird es an der Tour de France 2020 nicht geben.
Foto: imago images/UPI Photo
Mathias Germann

Egan Bernal atmet schwer. Er leidet, kämpft, doch es nützt nichts. Sein Mimik? Verzweifelt, er schüttelt den Kopf. Sein Blick? Leer. Das 23-jährige Rad-Wunderkind aus Kolumbien erleidet ausgerechnet im Aufstieg zum Grand Colombier – der Name kontrastiert zum realen Bild – die grösste Niederlage seiner Karriere. Mehr als sieben Minuten nach den Besten erreicht Bernal die Passhöhe. Dann wird der Tour-Titelverteidiger von seinen Qualen erlöst. Entkräftet steigt er vom Rad – man könnte auch sagen: von seinem Thron. «Ich war wie blockiert, die Beine wollten einfach nicht. Es gibt keine Ausreden, andere sind besser», sagt Bernal kurz darauf.

Neues Wunderkind aus Slowenien

Den Sieg holt sich ein anderes, neues Wunderkind. Es heisst Tadej Pogacar und kommt aus Slowenien. Der Schlacks mit dem Milchbubi-Gesicht hamstert bereits seine zweite Etappe. Es ist erneut ein vorzeitiges Geburtstagsgeschenk. Warum? Einfach: Am Tag nach dem Tour-Ende, also in einer Woche, wird Pogacar 22 Jahre alt.

In der Gesamtwertung festigt der Youngster seinen zweiten Platz. Auf Platz 1 und seinem grundsoliden Landsmann Primoz Roglic fehlen ihm 40 Sekunden. Das tönt nach wenig, ist es aber nicht. Denn: Pogacar hat in seinem UAE-Team keine nennenswerte Helfer. Ganz anders Roglic. Der 30-jährige Ex-Skispringer wird von seinem Team Jumbo-Visma in Watte gepackt. Zum Zeitpunkt, als Bernal abreissen lässt, drücken gleich vier Teamkollegen Roglics aufs Gaspedal.

Zurück zu Bernal. «Tour-Favorit gibt Rätsel auf», titelte der BLICK vor eineinhalb Wochen. Damals hatte er in der Gesamtwertung 13 Sekunden Rückstand, wirkte aber ungewohnt angreifbar. Sind seine Rückenprobleme vielleicht doch schlimmer als kommuniziert? Oder macht sich die Corona-Pause – Bernal durfte lange nicht nach Europa – negativ bemerkbar? Fakt ist: Die unglaubliche Tour-Siegesserie von Bernals Team Ineos (früher Sky) wird reissen. Wir erinnern uns: Bradley Wiggins (2012), Chris Froome (2013, 2015-2017), Geraint Thomas (2018) und eben Bernal (2019) sorgten für eine Dauerparty in der reichen britischen Equipe.

Schweizer ohne Wirkung

Von Tour-Held Marc Hirschi (22) ist diesmal nichts zu sehen, er lässt wie Stefan Küng (26) und Michael Schär (33) früh abreissen. Sébastien Reichenbach (31) dagegen hält lange mit, zeigt aber, warum er in seiner Karriere nur zwei Profi-Siege einfuhr. Ihm fehlen die Explosivität für Tagessiege und die Konstanz für einen Top-Klassementsfahrer.

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