Trauer, Unverständnis, Schock: Der tödliche Sturz von Gino Mäder (†26) an der Tour de Suisse erschüttert die Sport-Welt.
Noch in der Trauer beginnt die Suche nach ersten Erklärungen. Noch ist nicht klar, wie der fatale Unfall von Mäder sich genau abgespielt hat. Der US-Amerikaner Magnus Sheffield (21) kam an derselben Stelle ebenfalls zu Fall, kam aber mit einer Gehirnerschütterung und ein paar Prellungen glimpflich davon. Möglich ist, dass Sheffield und Mäder vor dem Sturz zusammengeprallt sind – geklärt ist diese Frage am Freitagabend noch nicht.
Generelle Kritik an Abfahrten – aber wie gefährlich ist der Albula?
Eine der Fragen, die früh aufgeworfen werden, ist diejenige nach der Gefahr. War die Passage nach dem Albula zu riskant? Immer wieder gibt es Kritik an den Abfahrten im Profi-Radzirkus. Mit horrenden Tempi stürzen sich Stars und Helfer in die Tiefe, mit Geschwindigkeiten von bis zu 100 km/h auf dem Tacho, geschützt nur durch ihren Helm und das dünne Radtrikot. Für manche gehört das zur Faszination Radsport, andere halten den Bogen für überspannt.
Belgiens Rad-Star Remco Evenepoel (23) meldete sich nach dem verheerenden Sturz kritisch zu Wort. «Das war keine schlaue Idee, das Ziel einer solchen Etappe nach einer Abfahrt zu platzieren», sagte er am Donnerstag über den Abflug von Sheffield. «Aber man braucht offenbar immer noch mehr Spektakel. Es muss wohl einfach etwas passieren, damit man reagiert.»
Schweizer Rad-Profis kennen die Unfallstrecke gut
Nun ist etwas passiert. Doch wie gefährlich war die Stelle auf der Abfahrt vom Albula tatsächlich? Im Feld sieht man die Sache differenziert, als sich Blick am Freitagvormittag umhört. «Ich habe sie nicht als gefährlich eingestuft», sagt zum Beispiel der Schweizer Zeitfahr-Spezialist Stefan Bissegger (24). «Ich habe die Kurve grundsätzlich nicht als gefährlich erlebt», sagt auch Silvan Dillier (32), der wie Bissegger im Gruppetto die verhängnisvolle Stelle passierte. Die Schweizer, auch Gino Mäder, kennen den Streckenabschnitt, der gut einsehbar ist, aus dem Training bestens.
«Ich wusste, dass die Kurve tricky sein kann, wenn man schnell kommt und es einen nach aussen trägt», sagt Dillier. «Aber man weiss und sieht, was auf einen zukommt.» Er habe die Passage nicht als technisch herausfordernd wahrgenommen, sagt Bissegger. «Aber es kann schnell gehen. Ein Steinbrocken, der am falschen Ort liegt, ein blöder Schlag…»
Die ratlosen Reaktionen deuten darauf hin: Selbst wenn die Kritik an zu schwierigen und zu gefährlichen Abfahrten in vielen Fällen zutreffen mag – für diesen verheerenden Unfall muss wohl sehr viel zusammenkommen sein. Die Abfahrt nach La Punt wurde an der Tour de Suisse bereits zum neunten Mal seit 1992 absolviert. Es wird wohl Wochen dauern, bis der Unfallhergang mit abschliessender Sicherheit rekonstruiert werden kann. Die Polizei hat die Ermittlungen aufgenommen.