Sie pedalen, sie schwitzen, sie leiden. Stunde für Stunde, Tag für Tag. Fans? Stehen keine am Strassenrand. Ein Interview? Will niemand. TV-Kameras? Sucht man vergebens. Lächeln tun sie trotzdem, die Rad-Profis des Team Tudor. «Ein Trainingslager im Winter ist oft monoton. Aber es ist nötig. Wer nicht sät, wird auch nicht ernten. Und wir haben auch unseren Spass», so Roland Thalmann.
Der 30-Jährige ist Teil des Schweizer Teams Tudor und kommt soeben von einer sechsstündigen Ausfahrt zurück. Er war in der «Gruppe 4» eingeteilt, mit den anderen Kletterern des Teams. «Heute ging es nicht darum, mit hohem Puls zu fahren. Es ging um Grundlagen, alles gemütlich», sagt er. Gemütlich? Die Zahlen dazu: 185 Kilometer, 3625 Höhenmeter und 30,8 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit. 4389 Kalorien hat er laut Velocomputer verbraucht.
Ein Mekka für die Rad-Teams
Es ist Anfang Januar 2024, als wir Thalmann einen Tag in Albir an der Costa Blanca begleiten. Die spanische Sonne hat es ihm angetan, «nur der lästige Wind müsste nicht sein», witzelt er. Die 17 Grad tun dennoch gut, auch wenn das Baden am Strand undenkbar ist.
Mehrere Weltklasse-Teams haben ihre Zelte in unmittelbarer Nähe aufgeschlagen. Kein Wunder: Die Strassen sind gut, der Verkehr im Winter gering, es geht wahlweise lange hoch und runter oder auch darum, mit dem Zeitfahrvelo im flachen Tempo zu bolzen. Die Landschaft? Atemberaubend. «Einfach perfekt», sagt CEO Raphael Meier. «Allerdings werden wir nächstes Jahr das Hotel wechseln, vielleicht suchen wir etwas Kleineres», sagt er.
«Entscheidend ist das Porridge»
Doch zurück an den Anfang. Es ist 07.30 Uhr, als wir bei Thalmanns Hotelzimmer anklopfen. «Guten Morgen, kommt rein. Aufgeräumt haben wir nicht», sagt er schmunzelnd. Danach gehts schnell. Trainer an, Linsen rein, runter gehts in den riesigen Frühstücksraum – andere Hotelgäste sind in dieser Jahreszeit kaum da.
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Thalmann sucht sich am Buffet das, was er während der 15 Spanien-Tage häufig isst: Kiwi, Orange, Weichkäse, Baumnüsse. «Entscheidend ist aber Porridge. Das veredle ich mit meiner eigenen Mohnsamen-Mischung, die ich überall mitnehme.» Es gilt, Kalorien zu scheffeln – schmecken soll es aber trotzdem.
Fast aufgehört – doch dann kam Tudor
Auch wenn der Alltag fernab von Familie und Freunden hart sein kann, geniesst Thalmann den Moment. Kein Wunder – er hat es auch schon anders erlebt. «Ich war meine ganze Karriere bei zweitklassigen Teams, hatte schon fast abgeschlossen mit dem Velofahren. Dann kam Tudor und alles änderte sich. Ich wäre blöd, wenn ich nicht alles geben und Freude haben würde.»
Dem Entlebucher ist bewusst, dass er nicht mehr zum Seriensieger wird. Seine Rolle ist vor allem jene des Helfers. Er ist gut in der Fläche und am Berg, dazu tempofest. «Aber halt nirgends spitze. Darum versuche ich alles, dass meine Teamkollegen brillieren.»
Thalmann geht nach dem Zmorge irgendwann wieder aufs Zimmer. Zähneputzen, umziehen, dehnen, aufwärmen. Er wechselt einige Worte mit dem Mechaniker, beginnt das Training. Um 14.30 Uhr kehrt er zurück. Es geht weiter im Takt: Mittagessen, Massage, Teambesprechung, Abendessen, Lichter löschen – viel Zeit bleibt sonst nicht. «Ich lese meistens noch ein wenig. Aber dann bin ich so müde, dass ich schnell einschlafe.»
Ein Sieg bei Mailand-Sanremo?
Boss von Tudor ist Fabian Cancellara (42). Er hat mit seinem Team ein klares Ziel: den Aufstieg in die World Tour, der oberste Rad-Kategorie. Dafür braucht es Erfolge – so wie zuletzt jener von Arvid de Kleijn (29, Ho) bei der 2. Etappe von Paris-Nizza.
Am Samstag gehts dann mit Mailand-Sanremo weiter, dem ersten grossen Klassiker der Saison. Ein Tudor-Sieg wäre eine Sensation, doch die Aussenseiterrolle liegt ihnen. Cancellara: «Es geht nicht nur um den unmittelbaren Erfolg. Wir haben ein Devo-Team mit jungen Fahrern und wollen dort auch talentierten Schweizern eine Chance bieten, nach oben zu kommen.» Tatsächlich haben einige Talente in Albir ein Haus, welche ihnen das Team zur Verfügung stellt – sie kochen, putzen und trainieren. Das Hotel der Profis müssen sie sich erst verdienen.
«Bin nicht so der Wasser-Typ»
Zurück zu Thalmann. Etwas gönnt er sich bei unserem Besuch in Albir dann doch noch: ein Bad im herrlichen Spa des Hotels. «Aber auch nur, weil ihr noch ein schönes Foto-Sujet wolltet. Ich bin nicht so der Wasser-Typ», sagt er lachend.
Als wir uns am nächsten Morgen verabschieden, ist Thalmann bereit für die nächste Ausfahrt. Weiter, immer weiter. «Ich bin froh, wenn es dann ernst gilt», sagt er und pedalt davon.