Vor einem Monat erfüllte sich Jolanda Neff (28) einen Traum. Sie wurde in Tokio Olympiasiegerin. Und heute? Da hat die St. Gallerin die Chance auf ein ganz spezielles Double. In Val di Sole (It) könnte sie zum zweiten Mal nach 2017 Weltmeisterin werden. Auf dem Papier sind Neffs Chancen hervorragend, ist das Feld im Vergleich zu Tokio doch schwächer besetzt. Und dennoch wäre WM-Gold eine Überraschung. Warum?
Neff gibt die Antwort vor wenigen Tagen in einem Zoom-Call. «Die letzten vier Wochen waren alles andere als ideal. Ich konnte mich nicht so vorbereiten, wie ich es normalerweise vor einem Grossanlass mache.» Es war aber nicht der Olympia-Blues, der Neff im Griff hatte. Nein, es waren vor allem die organisatorischen Aufgaben, die sie fast verzweifeln liessen. «Ich erhielt täglich zwischen 30 und 40 Anfragen für Events», erzählt sie. «Es gab so viele Sachen, bei denen ich nicht Nein sagen konnte – ich versuchte es, aber es ging nicht.»
Eine Lawine überrollte Neff
Neff entschied im letzten Januar, sich nach acht Jahren mit einem Management neu selbst zu vermarkten. Sponsoren, Medien, Partner – sie organisierte alles. «Die ersten Monate habe ich extrem genossen. Erstens ist es persönlicher, wenn ich mit den Leuten direkt spreche. Und zweitens kann ich E-Mails auch selbst schreiben», so Neff.
Aber eben: Seit ihrem Olympiasieg wird sie von einer Lawine überrollt. «Ich muss überlegen, wie es nach der Saison weitergeht», kündigt sie an. Es tönt, als würde sich Neff schon bald wieder Hilfe holen. «Ich will mich nicht überlasten, der Sport soll weiterhin im Vordergrund stehen», sagt sie.
«Wie viel verdienst du?» Nichts!
Gemäss Blick-Recherchen verdiente Neff in den letzten Jahren zwischen 300’000 und 400’000 Franken jährlich. Zum Vergleich: Marlen Reusser (29) dürfte auch dank ihrer Olympia-Silbermedaille im Zeitfahren in der nächsten Saison auf 50’000 Franken kommen. Gut möglich, dass der Unterschied zwischen den beiden noch grösser wird – Neffs Team Trek will sie in den USA gross rausbringen.
Entschuldigen muss sich Neff dafür nicht. Erstens hat sie wohl einige Ausgaben in ihrem Sport, die weder ihr Team noch der Verband übernehmen. Und zweitens investierte sie viel für ihre Karriere. Neff erinnert sich an einen Vortrag Anfang 2020 bei einer Talentschule für Fussballer: «Da fragte mich einer: ‹Wie viel verdienst du?› Ich antwortete: ‹Gar nichts.› Er meinte: ‹Wieso machst du denn das?›»
Es ist nicht das Geld, das Neff antreibt, sondern ihre Passion fürs Mountainbiken. «Aber es ist ein gutes Zeichen für junge Fahrer, dass man von diesem Sport auch leben kann», sagt sie.