Sein Ziel war klar: Rosa. Stefan Küng (28) sagte vor dem Giro-Start: «Ich will gewinnen, ich will die Maglia Rosa.» Doch an diesem sonnigen Tag an der adriatischen Küste wird schnell deutlich, dass der Thurgauer mit seinem Unterfangen scheitern wird. Schon nach zehn der 19,6 Kilometer liegt Küng 22 Sekunden zurück, im Ziel sind es dann 43 Sekunden Rückstand. Rang 5, eine Enttäuschung. Küng wartet weiter auf den ersten Sieg bei einer Grand Tour.
Während in Grossbritannien König Charles gekrönt wird, wird «King Küng» seinem Spitznamen nicht gerecht. Er ist zwar weder langsam noch bricht er ein – wer aber seine Ziele so deutlich formuliert, muss sich an ihnen messen lassen. War die Vorbereitung nach den Frühjahresklassikern doch nicht optimal, weil zu kurz? War die Tagesform zu schlecht? Oder ist Küng auch in bester Verfassung einfach nicht schnell genug? Er sucht keine Ausreden: «Remco hat gezeigt, dass er der Patron ist. Ich war von Anfang bis Ende zu wenig schnell. Das muss ich akzeptieren.»
Niemand kommt an Evenepoel heran
Fakt ist: Küng ist im Vergleich mit Remco Evenepoel (23), dem belgischen Rad-Wunderkind, auf verlorenem Posten. Alleine ist er nicht – niemand kommt an ihn heran. Filippo Ganna (26), der zweifache Weltmeister und Lokalmatador, verliert 22 Sekunden, Portugals Joao Almeida (24) büsst 29 Sekunden ein. «Remco ist auf dem Velo unglaublich aerodynamisch, er hat ganz spezielle Masse», meinte Küng einst. Tatsächlich: Evenepoel wirkt wie eine Kanonenkugel. Er ist 61 Kilo schwer und 1,71 m gross – eigentlich die Masse eines Kletterers. Trotzdem hat der ehemalige Fussball-Captain von Belgiens U15 viel Muskelmasse in den Beinen. Seine Durchschnittsgeschwindigkeit bei seinem Sieg: 55,211 km/h. «Ich hatte vom Start weg einen guten Rhythmus, eine gute Kadenz. Die Mission Nummer 1 ist erfüllt», sagt er im Ziel.
Nach dem Vuelta-Sieg im letzten Jahr will Evenepoel den Giro gewinnen. Auf seinen auf dem Papier schärfsten Rivalen, den Slowenen Primoz Roglic (Rang 6, +43 Sekunden), hat er bereits ein schönes Polster. «Darauf schaue ich nicht», sagt Evenepoel. Er gilt als sehr selbstbewusst, früher wurde ihm zuweilen Arroganz vorgeworfen.
Zurück zu Küng. In einer Woche hat er die Chance, es besser zu machen. Noch ein Giro-Zeitfahren steht an – gut möglich, dass er danach die Rundfahrt verlässt, um sich auf die Tour de Suisse vorzubereiten.