Frühmorgens ist Treffpunkt für diese anspruchsvolle Bergetappe: 211 Kilometer und 4350 Höhenmeter stehen auf dem Plan. Für die Fahrer der Tour de France. Und für uns. Blick ist bei der 11. Tour-Etappe dabei. Im VIP-Tross. Für uns Gäste beginnt der Tag aber nicht mit den ersten Radkilometern der neutralen Zone vor dem eigentlichen Start, sondern im VIP-Village: ein gemütliches Plätzchen im Zentrum des kühlen und verregneten Kurorts Évaux-les-Bains mit Entertainment, köstlichen Häppchen und reichlich Kaffee – alles kostenlos.
Als VIP beim berühmtesten Radrennen der Welt. Was heisst das? Zunächst das Privileg, sich noch vor dem Start zu den Teambussen begeben und dort die Athleten hautnah erleben zu können. Die Spannung, Nervosität und den Erfolgshunger der scheinbar übermenschlichen Radfahrer ist förmlich spürbar.
«Pogacar attackiert! Er fährt solo»
Dann gehts zu unserem Teamauto, das die ganze Etappe mitfährt und wo ich neben ehemaligen Radrennprofis wie Imogen Cotter und Ludovic Turpin Platz nehme. Turpin unterstützt das Team Decathlon AG2R La Mondiale während der Tour de France und ist an diesem Tag unser Captain. Der Mann am Steuer.
Sonst fungiert er als Sportdirektor des Frauen-Radteams Féminin Chabéry. Cotter hingegen wurde aus PR-Gründen zum Event eingeladen. Neben meiner Wenigkeit ist noch die radsportbegeisterte Hospitality-Verantwortliche des Decathlon AG2R La Mondiale Teams, Juliette, im Auto. Gespräche über Favoriten und Strategien bestimmen die Fahrt, besonders spannend ist die Analyse des Gastgeberteams um Felix Gall und seine Ambitionen im Gesamtklassement gegen Tadej Pogacar und Jonas Vingegaard. Auch auf einen Tagessieg von Bruno Armirail, Paul Lapeira oder Nicolas Prodhomme hofft das Team – doch an diesem Tag ist das Glück nicht auf ihrer Seite.
Der VIP-Bus ist immer rund 30 Kilometer vor den Athleten unterwegs. Dabei gibt es eine magische Untergrenze, die wegen Sicherheitsgründen zwingend eingehalten werden muss. «Pogacar attackiert! Vingegaard kommt nicht direkt nach. Pogacar fährt solo davon», oder «Roglic stürzt» – Funksprüche wie diese kommen immer wieder aus dem Tour-Radio. Der Bus ist mit Radio, Funk und TV ausgestattet, um das Rennen und den teaminternen Funkverkehr live zu übertragen. In den Bergen versagen zwischenzeitlich die Radio- und TV-Systeme, sodass das Handy einspringen muss.
Zum Mittagessen wird bei Kilometer 120 ein Mahl der besonderen Art serviert. Dabei parkiert die ganze Equipe des Gastgeberteams ihre Autos kurzerhand am Strassenrand, packt Campingtische und Klappstühle aus, sorgt mit einem Team-Tischtuch für Gemütlichkeit und serviert von der Tour organisierte und fertig vorbereitete Speisen mit einer Auswahl an Getränken und Wein. Wir geniessen das Essen, während die Fahrer an uns vorbeisausen. Besonders aufregend: Einer der Cracks in der Fluchtgruppe ist ein Schützling des Decathlon AG2R La Mondiale Teams – der Österreicher Felix Gall.
Sobald uns das Peloton passiert, müssen auch wir uns beeilen – wir hetzen zu den bereitstehenden Autos, um so rasch wie möglich loszubrausen. Der Grund: Ziel ist es, die Cracks auf Nebenstrassen zu überholen, um uns knapp 30 Kilometer später wieder vor dem Feld zu positionieren – wir schaffen es!
«Romain, wir werden dich vermissen!»
Danach werden die Anstiege steiler und die Fans zahlreicher, insbesondere Anhänger von Lokalmatador Romain Bardet, die sich am steilsten Herzstück der Strecke – bei 14 Prozent Steigung – kurz vor Passhöhe des Pas de Peyrol versammeln. Bardet fährt heuer seine wohl letzte Tour de France.
Deswegen wird er in seiner Heimatregion verehrt. Die Euphorie am Berg ist so gross, dass die Fans selbst uns VIPs feiern. Ich kann mir nur schwer vorstellen, welch ein Gänsehaut-Moment dies für die Athleten sein muss, wenn sie in diesem Ausmass von unzähligen Leuten unterstützt werden.
Unser VIP-Bus erreicht gerade rechtzeitig das Ziel – wo sich kurz darauf Pogacar und Vingegaard einen dramatischen Endspurt liefern, den der Däne zuletzt mit wenigen Zentimetern für sich entscheiden kann.
Ein Tag voller Nervenkitzel an der Tour de France – nicht nur für die Profis.