Aus und vorbei. Nie mehr Olympia. Wenn Nicola Spirig am Samstag in Tokio zum Team-Event antritt, wird sie sich in Gedanken von den grossen fünf Ringen im Hafenbecken von Tokio verabschieden. Ihre fünften Sommerspiele werden mit grosser Wahrscheinlichkeit die letzten sein. So hat sie das definitiv angekündigt.
Wobei definitiv bei ihr sehr relativ ist. Nach dem Olympiasieg 2012 in London will sie Mutter werden und die Jagd nach Edelmetall beenden. Spirig wird Mutter von Sohn Yannis (8), und trotzdem keimt der Traum von einer weiteren Triathlon-Medaille.
Fehlgeburt beim dritten Kind
Vier Jahre später gewinnt sie in Rio de Janeiro – trotz einer hartnäckigen Verletzung im Vorfeld – nach einem fantastischen Rennen tatsächlicher Silber und verabschiedet sich überglücklich. Zehn Monate später kommt Tochter Malea (4) zur Welt. Der Sport rückt nur kurz in den Hintergrund. Wenigen Wochen nach der Geburt wird sie Schweizer Meisterin im Duathlon.
Spirig wagt sich schnell wieder ins Wasser und wird zum sechsten Mal Triathlon-Europameisterin. Die Familienplanung läuft parallel weiter. Dann aber der Schock: Spirig erleidet eine Fehlgeburt. Zusammen mit ihrem Mann Reto Hug verarbeitet sie das Trauma und fängt sich wieder.
Gute Miene zum bösen Spiel
Sie wird erneut schwanger und freut sich über den dritten Schreihals im Haus. Drei Monate nach der Geburt von Sohn Alexis (2) gibt sie an einem Triathlon in Hamburg ihr Comeback. Als Ernährerin für das finanzielle Einkommen zuständig, wächst in ihr der Hunger auf Tokio 2020. Obwohl die Spiele wegen Corona verschoben werden, hält sie an ihrem Vorhaben fest und will als dreifache Mutter noch einmal eine Medaille holen.
Der Traum von Edelmetall zerplatzt allerdings schon früh. Nach einer guten Leistung in ihrer schwächsten Disziplin – dem Schwimmen – kann sie auf dem Rad den Rückstand auf die Spitze nicht mehr wettmachen. In der Verfolgergruppe vereinsamt sie als einzige Frau, die Führungsarbeit leistet. Beim Laufen sind die Kraftreserven erschöpft, aber Spirig macht gute Miene zum bösen Spiel.
Frust und Freude gleichzeitig
Auf letzten Metern vor der Ziellinie ballt sie demonstrativ die Faust, zaubert ein Lächeln auf das gequälte Gesicht und reisst beide Arme in den Himmel – so als wollte sie nach dem Regenbogen greifen, der sich nach dem Taifun über Tokio gespannt hat.
Das frohe Farbenspiel ist der kitschige Kontrast zum etwas enttäuschenden Abschied von Spirig als Athletin von Olympia. Mit über zwei Minuten Rückstand auf die Siegerzeit landet sie im Einzelrennen auf Rang 6. Frust und Freude vermischen sich in diesem Augenblick. «Ich bin stolz auf meine Leistung, aber leider hat es nicht zu einer Medaille gereicht.»
Ironman unter acht Stunden
Gold, Silber oder Bronze - die Farbe wäre ihr egal gewesen. Nun muss sie sich mit einem Diplom begnügen. Ob das reicht, um definitiv einen Schlussstrich zu ziehen und Olympia in ihrem Leben hinter sich zu lassen? Paris 2024 wäre nicht mehr so fern. «Ich sage lieber nichts dazu», meint Spirig und lächelt, «jedes Mal, wenn ich gesagt habe, es werden meine letzten Olympischen Spiele, habe ich es später trotzdem revidiert.»
Sicher ist, nach Tokio will sie unter wissenschaftlichen Bedingungen einen Ironman unter acht Stunden laufen. Das Projekt bindet nicht nur die Sponsoren, es gibt ihr auch die Möglichkeit die Karriere langsam ausklingen zu lassen und sich Gedanken über die ungewisse Zukunft zu machen.