«Ich bin erstaunt», sagt Mujinga Kambundji (29) nach ihrem 200-Meter-Vorlauf im Olympiastadion von Tokio. Die Bernerin läuft am Montag locker in die Halbfinals, nimmt sogar noch Tempo raus. Dann der Blick auf die Anzeigetafel: 22,26 – Schweizer Rekord! «Ja», sagt Kambundji auf die Frage, ob sie erschrocken ist.
Mit ein Grund für eine solche Überraschung – wenn nicht der Hauptgrund neben neuartigen Rennschuhen – ist die Bahn im Olympiastadion. Die nämlich ist nigelnagelneu konzipiert.
Italienische Firma machts möglich
Der Mann hinter der Rekordbahn heisst Andrea Vallauri und arbeitet für die italienische Firma Mondo, welche seit Jahren die Bahnen für Olympia bereitstellt und nun Zeiten wie den Europarekord von 100-m-Olympiasieger Jacobs in 9,80 möglich macht.
Die blitzschnelle Unterlage sei «neu in Tokio», so Vallauri in der «New York Times». «Wir hatten eine spezielle Ambition, mit etwas Neuem hierher zu kommen.»
Vallauris Firma aus der Region Turin baute bereits 12 olympische Laufstrecken. Nun haben er und sein Team rund drei Jahre an der neuen Tokio-Unterlage gearbeitet, verschiedenste Materialien und Gummis getestet und sich immer wieder mit Athleten abgesprochen.
«Wie ein Trampolin»
Vallauri erklärt, dass ausschliesslich alle Athleten die jetzt verlegte Bahn bevorzugten. «Das Feedback war bei allen Athleten das gleiche: Wir wollen diese Bahn!», so der Italiener.
Dann seien dreidimensionale Gummikörnchen eingebaut worden, welche laut Vallauri eine Oberfläche ergeben, die Schläge absorbiert und die Energie «wie ein Trampolin» zurückfedert.
Die Athleten jedenfalls zeigen sich äusserst zufrieden mit der Bahn. Kambundji: «Sie ist sehr schnell. Mit wenig Wind oder sogar mit Gegenwind sind extrem schnelle Zeiten möglich. Die Bahn ist super.»
«Gibt dir Energie zurück»
Auch Hürden-Star Sydney McLaughlin (21, USA) ist begeistert: «Man spürt die Federung richtig. Manche Bahnen nehmen den Aufprall und deine Bewegungen einfach nur auf. Diese hier regeneriert die Energie und gibt sie dir zurück.»
Die 1,5 Mio Dollar teure Bahn gebe den Athleten einen Vorteil von bis zu 2 Prozent, sagt Vallauri. Das kann für entscheidende Differenzen sorgen.
Unter Athleten ist die italienische Firma seit Jahren ein Begriff. Über die Hälfte aller Weltrekorde in den letzten 20 Jahren wurden auf ihren Bahnen aufgestellt.
«Fair, wenn alle den gleichen Gummi haben»
Doch nicht nur die Laufbahn. Auch die Unterlagen für Weit- und Hochsprung-Anlagen sind eine Gefahr für die Rekordbücher. So stellte erst gerade am Sonntag die Venezuelanerin Yulimar Rojas mit 15,67 Metern einen neuen Dreisprung-Weltrekord auf – und riss die Augen weit auf, als ihre Leistung auf dem Bildschirm aufleuchtete.
Misstrauisch oder unfair sei dabei gar nichts, so Vallauri, der die Oberfläche mit den Formel-1-Reifen vergleicht: «Wenn alle Autos den selben Gummi haben, dann ist die Fairness gegeben.» (wst)