Jérémy Desplanches (26) taucht in diesen Tagen ab. «In Japan leben wir praktisch im Pool», sagt der Schweizer Weltklasseschwimmer über die Tage vor seinen Olympia-Einsätzen. Es gibt das Hotel, dazu das Training im Wasser im Vorbereitungs-Camp in Fuji (Jap) – mehr ist da nicht vor dem grossen Wettkampf.
Gut, dass der Genfer bereits viel Erfahrung mit Eingesperrtsein hat: Im Frühjahr 2020 ging es für ihn und Freundin Charlotte Bonnet (26), ebenfalls Spitzenschwimmerin, in der gemeinsamen Trainingsbasis in Nizza in den Lockdown. «Sie hat gekocht, ich habe Videospiele gemacht, wir haben viel Monopoly gespielt. Zwei Monate gab es einfach nichts zu tun. Irgendwann haben wir auch darauf verzichtet, gross News zu konsumieren. Das hat ganz gutgetan.»
Ein Monat Aufbau-Training, um wieder voll trainieren zu können
Zwei Monate, in denen der WM-Silbermedaillengewinner über 200 m Lagen dem Pool fernblieb. Zeit, in der sich die Muskeln stark zurückbildeten. «Ich musste erst einen Monat lang einen Aufbau machen, um wieder richtig trainieren zu können.»
Desplanches’ grosser Tag soll am 30. Juli kommen. Dann steigt der Final über 200 m Lagen, seiner Spezialdisziplin, in der er 2018 Europameister wurde und in der er 2019 als WM-Zweiter Geschichte geschrieben hat, als er als erster Schweizer Schwimmer seit Dano Halsall 1986 auf ein WM-Podest schwamm. Der Lohn für die harte Arbeit und für das Risiko, das er vor sieben Jahren auf sich nahm, als er alles auf eine Karte setzte, Profi-Schwimmer wurde und nach Nizza zog, um bei Erfolgscoach Fabrice Pellerin unter Spitzenbedingungen zu trainieren.
Zufrieden trotz EM-Silber: «Ich war schneller als beim Titel 2018»
Eine kleine Enttäuschung hat Desplanches in dieser Saison schon hinter sich – und die sagt schon alles über die Ansprüche, die der Schweizer mittlerweile an sich stellt: An den Europameisterschaften im Mai schwamm er die 200 m Lagen als Zweitschnellster. Nur Silber. «Das hat im ersten Moment etwas genagt. Aber nüchtern betrachtet kann ich zufrieden sein, ich war schneller als bei meinem EM-Titel 2018.»
Mittlerweile spricht er davon, Silber gewonnen und nicht Gold verloren zu haben. Und vor allem hat er an diesem Tag viel gelernt. «Mir war nicht bewusst, wie schwierig es ist, als Titelverteidiger in ein Rennen zu gehen», gibt er zu. «Du hast plötzlich eine Zielscheibe auf dem Rücken, du bist der Mann, den alle schlagen wollen. Das ist hart und ist vor dem Rennen auf dem Startblock plötzlich über mich hereingebrochen.»
Respekt für Phelps und Federer
Mit der psychologischen Komponente dieser Herausforderung hat sich Desplanches in den letzten Monaten eingehend befasst. «Du kannst dich eigentlich nicht mehr steigern. Gewinnst du noch einmal Gold, okay, dann bist du gleich gut wie vorher. Aber wenn du Silber holst, ist es eigentlich ein Rückschritt. Du musst dich selber extrem herausfordern.»
Seine Bewunderung für den 23-fachen Olympiasieger Michael Phelps (36) ist darum noch einmal mächtig gewachsen. «An vier Olympischen Spielen hintereinander dieselbe Disziplin zu gewinnen, wie er es gemacht hat, das ist unglaublich.» Phelps und Athleten wie Roger Federer, die es über die Jahre hinweg fertigbringen, sich noch einmal zu Höchstleistungen zu pushen, «sind unglaublich. Sie haben meinen grössten Respekt.»
«Alles ist möglich»
Auf dem Level des mittlerweile abgetretenen Phelps ist Desplanches nicht unterwegs. Aber die Ziele sind ambitioniert – auch wenn er sie nicht ausdrücklich ausformulieren will. Er sagt: «Wir sind 13, 14 Schwimmer, die in den Final kommen können. Darum gehts erst um die Qualifikation. Und dann ist alles möglich.»
Das bedeutet konkret: Desplanches kann aufs Podest schwimmen – und damit Geschichte schreiben. Es wäre die erste Olympia-Medaille eines Schweizer Schwimmers seit 1984, als Etienne Dagon über 200 m Bronze gewann, das zweite Schweizer Schwimm-Edelmetall bei Sommerspielen überhaupt. Wirklich alles ist möglich.