Sie läuft und läuft und läuft – und wird nicht müde. Belinda Bencic ist diese Woche die grosse Marathon-Frau im Ariake Tennis Park. Beflügelt von ihrer Goldmission nimmt sie in Tokio alle Anstrengungen auf die leichte Schulter. «Ich habe hier keine Zeit für Müdigkeit», scherzt sie nach dem zweifachen Einzug in den Einzel- und Doppel-Final mit Viktorija Golubic.
Selbst den Medienmarathon meistert Bencic scheinbar mühelos. Die neugierigen Reporter aus aller Welt wollen an diesem magischen Schweizer Tag mehr wissen, strapazieren dabei aber nur die Nerven der Pressechefin. Bencic bleibt locker und sagt, die vielen Fragen seien schon in Ordnung für sie.
Die Liebe zum Sport verbindet
Die neue Gelassenheit geht auf ihre aussergewöhnliche Fitness zurück, wo Körper und Geist zusammenspielen. Keine Spielerin hat in diesen Tagen in Tokio mehr Kilometer gemacht. Keine Spielerin hat mehr Zeit auf dem Platz verbracht wie die Frau aus Flawil. Neun Spiele in sechs Tagen hat sie in den Beinen – trotz Doppelbelastung scheint sie für die beiden Spiele um Gold gut gerüstet.
«Ich bin gewohnt, viel zu spielen. Und ich trainiere so hart, so dass sich die Matches fast wie Erholung anfühlen», sagt Bencic und bedankt sich bei ihrem Freund und Fitnesstrainer Martin Hromkovic. «Sein Anteil an meinem Erfolg ist riesig. Er ist auch Sportler, er hat die gleiche Mentalität. Er versteht, wie ich mich in schwierigen Moment fühle. Er kann sich voll in meine Person versetzen.»
Die Kraft der neuen Autorität
Seit drei Jahren treibt der 39-jährige Tscheche die Schweizerin mit slowakischem Blut im Kraftraum an. «Es hilft, dass er so ein harter Kerl ist», sagt Bencic und muss lachen. «Wir haben uns sportlich wie auch privat sehr schnell gefunden. Aber trotzdem ist es wichtig, dass wir das trennen. Wir haben einen guten Weg gefunden, wie er mich an die Grenze treibt.»
Der frühere halbprofessionelle Fussballer hat bei Bencic nicht nur das Herz erobert, sondern auch sportlichen einen Nerv getroffen. Vorangegangen sind viele Verletzungen und eine Schaffenskrise. Sie fällt in der Weltrangliste weit zurück und fühlt sich verloren. Hromkovic fängt sie auf, stellt die Ernährung um, und verordnet ihr ein neues Trainingsprogramm. Die deftige Umstellung fällt ihr erstaunlich leicht: «Er treibt mich mit seiner Autorität aus der Komfortzone.»
Tiefes gegenseitiges Vertrauen
Mit dem neuen Mann an der Seite gelingt Bencic im Ranking der Sprung von 150 in die Top Ten. «Als wir uns kennengelernt haben, waren ihre Bewegungen ein wenig schwerfällig», sagt Hromkovic, der kurz Olympia das Master-Diplom als Fitnesslehrer besteht und sein Wissen nun mit seiner Freundin in der Praxis weiter vertiefen kann. «Er weiss genau, was wir wann machen müssen», sagt Bencic und lobt seine professionelle Art.
So hat Bencic in den letzten zwei Jahren mehr als zehn Kilo verloren und dafür viel an Spritzigkeit in den Beinen gewonnen. «Ich bin sehr froh, dass sie mir vertraut und an meine Arbeit glaubt», sagt Hromkovic und freut sich über den Erfolg als Konditionstrainer. «Sie gibt jetzt immer mehr als hundert Prozent – ich bin sehr stolz auf sie.» Die neue Einstellung könnte in Tokio zwei Mal Gold wert sein.