Paris hat uns begeistert
Olympische Festspiele und die Angst vor dem Kater

Es waren zwei spektakuläre Wochen in Paris, die uns alle begeistert haben. Und mit den Paralympics steht ein nächster Höhepunkt bevor. Aber was kommt für die Franzosen danach?
Publiziert: 11.08.2024 um 12:55 Uhr
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Aktualisiert: 11.08.2024 um 15:14 Uhr
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Die Patrouille de France am Himmel über Paris.
Foto: AFP
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Patrick MäderAutor Blick Sport

Über Sinn und Unsinn von sportlichen Riesen-Anlässen kann man diskutieren, sollte man auch. Paris hat zwei Wochen lang sinnvolle Argumente geliefert, hat grossartige, begeisternde Spiele organisiert. Hat Paris einen farbigen, innovativen und fröhlichen Anstrich verpasst. Hat Menschen aller Länder zusammengebracht, die im friedlichen Nebeneinander eine gute Zeit verbringen konnten. Hat die Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt gestellt und dem Volk das gegeben, wonach es dürstet: Unterhaltung und Ablenkung.

Was man im Vorfeld befürchtet hatte, ist nicht eingetroffen. Es gab zwar kleinere Sabotagen und Störmanöver, aber keine Terroranschläge. Der Verkehr, dem man den Kollaps vorausgesagt hatte, lief mehr oder weniger problemlos. Die Streiks, die im öffentlichen Verkehr angedroht wurden, konnte man rechtzeitig verhindern. Paris hat die Latte ähnlich hoch gelegt wie Armand Duplantis bei seinem Stabhochsprung-Weltrekord im Stade de France.

Die Organisatoren der nächsten Olympischen Spiele in Milano Cortina (2026) und in Los Angeles (2028) werden sich strecken müssen, um zumindest gleichzuziehen. Aber auch die beste Organisation ist nichts, ohne die Begeisterung der Menschen. Nach der ernüchternden Leere bei den Corona-Spielen in Tokio vor drei Jahren sehnten sich die Menschen nach grossen Emotionen. Egal, in welchen Stadien man vorbeischaute, sie waren fast immer voll. Nicht nur bei den Finals, auch beim Vorspiel, den Vorläufen, den Gruppenspielen, den Hoffnungsläufen. Die Arenen wurden clever integriert in die Kulisse der beeindruckenden Wahrzeichen, welche diese Stadt ausmachen. Wer geht nicht gern in ein Stadion, das am Fusse des Eiffelturms steht? In dieser bunten Wunderwelt kreierten die Fans eine Ambiance, die diesen Spielen die Krone aufsetzt.

Dem Land droht eine Periode des Stillstands

Aus ganz Europa sind sie gekommen, viele mit persönlichem Bezug zu den Athletinnen und Athleten. Die Wege waren kurz, die Gelegenheit für viele einmalig. Doch gingen sie unter in der Stimmgewalt der Franzosen, der Gastgeber. Viele Einheimische haben die Stadt vor den Spielen verlassen und mussten dann von ihren Feriendestinationen zuschauen, wie eine ganze Stadt in ein Meer der Begeisterung tauchte. Nie hat man so viele Menschen so oft gemeinsam die Marseillaise singen hören oder den Schlachtruf «Allez les Bleus!». Die Franzosen kehrten ihre unbändige, wilde Seite nach aussen. Eine Freude, ihnen zuzuschauen und zuzuhören. Nicht zuletzt trieben sie ihre Lieblinge in den Arenen von Höhenflug zu Höhenflug.

Sie feierten, als wäre es für lange Zeit die letzte Gelegenheit. Wie die Passagiere auf der Titanic, nur wussten diese damals nicht, dass gleich alles untergehen würde. Die Franzosen aber sind sich dessen bewusst. Die Lage der Grand Nation ist zum Zerreissen gespannt. Dem Land droht eine Periode des Stillstands und der politischen Instabilität. Die vorgezogenen Parlamentswahlen kurz vor den Spielen haben die extremen Parteien gestärkt, aber keine Mehrheiten ergeben. Wie es weitergeht, ist die grosse Frage. Macron hofft auf einen Popularitätsschub durch gelungene Spiele – möglicherweise vergebens.

Nicht überall wurde sauber gemacht

Anne-Sophie, die im 18. Arrondissement an der nördlichen Stadtgrenze einen gepflegten kleinen Laden führt, wo sie Produkte von lokalen Biobauern zum Verkauf anbietet, sieht schwarz. «Die Grossvertriebe, die nur den Profit anstreben und denen Umweltschutz und Diversität egal sind, werden vom Staat unterstützt, die Kleinen lässt man untergehen.» Viele Menschen seien frustriert, fühlten sich alleingelassen. Es fehle an Geld und Perspektiven. Sie verstehe, dass die Fans die Zeit gerade ausgelassen geniessen, weil sie das von den täglichen Problemen ablenkt. «Aber Olympia ist bald vorbei.»

Ihr Laden befindet sich in einem Quartier, in dem nicht so sauber geputzt wurde, um die Gäste zu empfangen, wie im Zentrum der Stadt, wo es sehr gut aussieht. An der Stadtgrenze schlafen viele Menschen auf der Strasse, unter den Autobahnbrücken, in trostlosen Ecken, in verlassenen Häusern. Die Mehrheit sind Migranten. «Vor den Spielen hat es hier noch viel schlimmer ausgesehen. Die Polizei hat viele Obdachlose von der Strasse weggeschafft. Aber das ist Augenwischerei.» Anne-Sophie betont, dass sie keine Pessimistin sei, aber sicher sei, dass die Begeisterung der Franzosen nach den Spielen schnell einer Depression weiche. «Es wird wie der Kater nach einem grossen Rausch.» 

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