Ein höchstunglücklicher Sturz im 5000-m-Vorlauf hätte Dominic Lobalu (25) beinahe seinen Olympiatraum gekostet. Weil sich vor ihm zwei Gegner in einer Kurve gegenseitig zu Fall brachten, kam auch er ins Straucheln, stürzte und verlor so den Anschluss an die Spitze.
Das Final-Ziel? Einfach so dahin. «Ich wäre so gerne in einem so grossen Rennen gelaufen», meinte Lobalu hinterher traurig. Dann jedoch schlug die Gerechtigkeit doch noch zu: Die Schiedsrichter werteten die Bilder noch einmal neu aus und kamen zum Schluss, dass Lobalu wegen des unverschuldeten Sturzes doch im Final starten dürfe. Genauso wie die drei anderen involvierten Athleten.
Ein versöhnlicher Abschluss dieser Sommerspiele ist es für den Mann, der in Paris nicht für die Schweiz starten darf, sondern Teil des olympischen Flüchtlingsteams ist, auch schon vor dem 5000-m-Final.
Sein unerfüllter Fahnentraum
Doch dann setzt er noch einen drauf, zeigt ein ausgezeichnetes Final-Rennen. Und um ein Haar, oder um 14 Hundertstel, hätte er sich gar mit dem Podest belohnt. Doch so wird er – wie neun andere Schweizer Exponenten – Vierter. Das darf doch nicht wahr sein!
Aber Lobalu strahlt nach dem Rennen trotzdem, zeigt sich «zufrieden» und attestiert sich in ansehnlichem, aber gebrochenem Deutsch, eine Leistung, die «tiptop» gewesen sein: «Es ist eine erste gute Erfahrung, nächstes Mal mache ich es noch besser.» Eine Medaille? Er hätte sie sowohl mit der Refugee-Olympia-Fahne als auch mit der Schweizer Flagge gefeiert.
Der Olympia-Final ist der Höhepunkt eines bislang bewegenden Jahres, ja des ganzen bewegenden Lebens von Dominic Lobalu. Im Mai hatte er nach langem Warten von World Athletics endlich die Freigabe erhalten, an internationalen Wettkämpfen für die Schweiz starten zu dürfen – und erreichte damit ein erstes grosses Ziel.
Der Langstreckenläufer stammt aus dem Südsudan und hat aufgrund des Krieges in seinem Geburtsland eine tragische Familiengeschichte. Als Neunjähriger musste er mitansehen, wie Soldaten seine Eltern umbrachten. Als Vollwaise wurde er zum Flüchtling und gelangte über Umwege in die Ostschweiz, wo er eine neue Heimat fand.
Rasch wurde sein Talent in der Leichtathletik erkannt und gefördert. Via Integrationszentrum Seeben in Ennetbühl SG kam er zum LC Brühl St. Gallen und zu Laufcoach Markus Hagmann, der bis heute sein Trainer und Kumpel ist.
Olympische Ringe statt Schweizer Kreuz
Gleich bei seinem ersten Grossevent als Leichtathletik-Schweizer schlug er zu – an der EM in Rom im Juni holte er sich Bronze über 5000 m und sogar Gold über 10’000 m.
Dann jedoch kam der Dämpfer vonseiten des Internationalen Olympische Komitees (IOC). Dieses erlaubte Lobalu nicht, an den Sommerspielen in Paris für die Schweiz anzutreten – weil es von allen Teilnehmern eine Staatsbürgerschaft verlangt. Das Problem: Lobalu ist noch nicht im Besitz eines roten Passes, diesen kann er frühestens 2032 beantragen. Also nahm er nach Bedenkzeit ein Gegenangebot des IOC an, statt für die Schweiz für das Refugee Olympic Team zu starten.
Olympische Ringe statt Schweizer Kreuz auf der Brust – am Ende ändern die Formalitäten nichts an der starken sportlichen Entwicklung des 25-Jährigen, der im Stade de France vor über 70’000 Zuschauern endlich auf jener grossen Bühne steht, von der er sein Leben lang geträumt hat.